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Erfrischend und ermattet

Von Alexander Dworzak

Politik

Robert Habeck steht vor dem Sprung an die Spitze der deutschen Grünen. In der Union wird über Angela Merkel gemurrt.


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Hannover/Berlin/Wien. Das Gerede vom frischen Wind ist abgestandener Politsprech. Genau damit aber kokettiert Robert Habeck geschickt. Fotos zeigen ihn auf offener See auf einem Fischerboot, die steife Brise weht ihm ins Gesicht. Habeck steht am Bug, lehnt sich nach vorne, verschränkt die Arme - und ist trotz der widrigen Witterung vergnügt. Der Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein lässt alles spielerisch wirken. Das macht ihn für viele deutsche Grüne suspekt. Im Hauptquartier der Moralisten von Deutschlands Parteien, in der Heimat des erhobenen Zeigefingers, haben charismatische Führungsfiguren einen besonders schweren Stand. Trotzdem steht Robert Habeck ganz kurz vor seinem Ziel.

Der 48-Jährige mit dem prägnanten Wuschelkopf will an die Spitze der Partei. Aber zu seinen Bedingungen. Seit Freitag tagen die Grünen in Hannover, am Samstag fällt die Entscheidung, wer den beiden Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir folgt. Vorher müssen die Delegierten einer Satzungsänderung zustimmen. Mit dieser würde Habeck eine Frist - im Gespräch sind acht Monate - eingeräumt, die er nach seiner Wahl zum Parteichef noch als Minister amtieren könnte. Das widerspricht der bei den Grünen hochgehaltenen Trennung von Amt und Mandat. Und zeigt, welch hohe Meinung teils über Habeck herrscht.

"Jamaika" nicht gescheitert

Bereits seit 2002 ist dieser Mitglied der Öko-Partei. Bekanntheit erlangte er als Minister in Schleswig-Holstein ab 2012. In der rot-grünen Koalition stach Habeck hervor, weil er nicht nur bei der grünen Kernklientel punktete, sondern auch bei Wirtschaftstreibenden und in der Start-up-Szene. Trotz ungünstiger Voraussetzungen konnte er bei der Landtagswahl im Mai 2017 das Ergebnis fast halten, die Grünen lagen mit 12,9 Prozent in Schleswig-Holstein über dem Ergebnis bei der Bundestagswahl (8,9 Prozent). Dass Habeck daraufhin mit CDU und FDP die für Deutschland ungewöhnliche "Jamaika"-Koalition zimmerte, gab seiner Karriere einen weiteren Schub. Er war auch Teil des Sondierungsteams für das gescheiterte schwarz-gelb-grüne Projekt im Bund. Während dabei andere Grüne, allen voran Fraktionschef Anton Hofreiter, mit der CSU öffentlich im Clinch lagen, behielt Habeck die Nerven.

Der promovierte Philosoph neigt gelegentlich zum Pathos, den er dank seiner Ironiefähigkeit abfedert. Gnadenlos selbstkritisch ist seine Einschätzung, jenseits grüner Biotope gebe es zu viele Menschen, die sich abgehängt fühlten und von der Öko-Partei erkämpfte Freiheiten als Bedrohung empfänden.

Für einen Generationenwechsel nach dem Duo Peter und Özdemir steht Habeck aber ebenso wenig wie Anja Piel. Die 52-Jährige gehört dem linken Parteiflügel an, meint, beim Thema Gerechtigkeit würden die Konzepte der Grünen "noch nicht genug wahrgenommen". Piel zählt zu den sogenannten Fundis, während die dritte Bewerberin, Annalena Baerbock, den Realos zugerechnet wird. Und das trotz ihrer radikalen Lösungsvorschläge in der Klimapolitik.

Sollten Habeck und Baerbock gewählt werden, wäre das ungeschriebene Gesetz gebrochen, wonach ein Realo und ein Fundi die Partei führen - so wie an der Fraktionsspitze. Nicht bloß Usus, sondern tatsächlich festgelegt ist, dass mindestens eine Frau den Parteivorsitz innehat. Von einer Parität der Geschlechter ist aber keine Rede. Sollte Piel im ersten Wahlgang gegen Baerbock verlieren, könnte sie daher im zweiten gegen Habeck antreten.

Koalitionspapier bis 4. Februar

Dessen Gegenbild ist derzeit Angela Merkel. Zwar verbreiten CDU und CSU vordergründig gute Stimmung, schließlich starteten am Freitag endlich die Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Diese sollen zwar früher als bisher geplant fertig werden. Von "abschließenden Beratungen" bei einer Klausur am 3. und 4. Februar spricht nun der Parlamentsgeschäftsführer von CDU/CSU, Michael Grosse-Brömer. Doch im Anschluss müssen noch die SPD-Mitglieder dem Pakt zustimmen. Dadurch verstreichen nicht nur drei weitere Wochen, Schwarz-Rot könnte sogar noch platzen.

Um dieses Risiko zu minimieren, wird Merkel der SPD Verhandlungserfolge zugestehen - und damit die Unzufriedenheit in den konservativen Reihen verstärken. Schon fürchtet die CSU, die Kanzlerin könnte gar Konzessionen in der Flüchtlingspolitik machen und sieht ihre Felle bei der Rückgewinnung von Sympathisanten davonschwimmen, die zu AfD und FDP abgewandert sind. Deshalb ist ein Entgegenkommen in der Gesundheits- oder Sozialpolitik wahrscheinlicher. Das wiederum erzürnt die Arbeitgeber. Und der Industrieverband sieht bisher "keine tragfähige Geschäftsgrundlage für eine wirtschaftspolitisch erfolgreiche Legislaturperiode".

Die "neue Dynamik für Deutschland", von der die Kanzlerin am Freitag sprach, trauen ihr immer weniger in der Union zu. Noch wird das nach außen dringende Gemurre zumeist unter Zusicherung der Anonymität veröffentlicht, und wenn nicht, stammt es von Hinterbänklern. Doch wie lange hält die erste Reihe still?