Öffentliche Auftraggeber müssen Kante zeigen.
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Aufgrund des kriegerischen Überfalls auf die Ukraine hat die Europäische Union (EU) bekanntermaßen mehrere Sanktionspakete gegen Russland erlassen. Neben dem naheliegenden Militärgüter-Embargo sind insbesondere die Beschränkungen des EU-Finanzmarktes, umfassende Exportverbote und eine "Schwarze Liste" von Unternehmen, die von der Teilnahme am Geschäftsleben auszuschließen sind, hervorzuheben.
Im Bereich der Importverbote ist das Sanktionsregime noch zögerlich. Bisher war im Wesentlichen nur die Einfuhr von russischen Eisen- und Stahlerzeugnissen verboten. Mit dem 5. Sanktionspaket kommen (zumindest) Kohle, Holz, Zement, Gummiprodukte, Meeresfrüchte und Spirituosen hinzu. Folglich bleibt Russland weiterhin Importeur und Rohstofflieferant der EU.
Speziell für Österreich spielt Russland nicht nur bei Erdgas und Erdöl, sondern beispielsweise auch bei Glasfasern eine aktive Rolle. Dieser Umstand soll mit dem 5. Sanktionspaket insoweit geändert werden, als Russland nunmehr von öffentlichen Auftragsvergaben innerhalb der EU abgekoppelt werden soll. Konkret wurde ein "vollständiges Verbot der Teilnahme russischer Staatsangehöriger und russischer Einrichtungen an öffentlichen Ausschreibungen in der EU" mit sofortiger Wirkung erlassen. Das Verbot gilt zudem für laufende Verträge, die mittels einer "No-Claims"-Klausel haftungsfrei kündbar sind. Ob dieser sehr einschneidend wirkenden Maßnahmen muss leider bezweifelt werden, dass das – den Maßnahmen zugrundeliegende – Ziel, nämlich den Geldfluss der EU-Steuerzahler in die russische Wirtschaft zu stoppen, wirklich erreicht wurde.
Nur wenige Neuerungen
Diese Zweifel liegen darin begründet, dass das Sanktionspaket aus vergaberechtlicher Sicht nur wenige Neuerungen enthält: Der Ausschluss russischer Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen innerhalb der EU war nämlich schon vor Erlassung des Sanktionspakets zulässig und auch geboten (dazu noch später). Statt die Chancen zur Weiterfassung dieses "Vergabeverbots" zu nutzen, wurden leider wichtige Bereiche ungeregelt gelassen. So lässt das Sanktionspaket Raum für zahlreiche Ausnahmen aus dem Vergaberecht (zB für den Abschluss von Forschungsaufträgen, Mietverträgen, Arbeitsverträgen). Jene Beschaffungen unterliegen nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberegimes und auch nicht dem öffentlichem Auftragsverbot an russische Unternehmer.
Torpediert wird die Sanktion insbesondere durch eine großzügige Öffnungsklausel, wonach das "Vergabeverbot" dann nicht gilt, wenn die "unbedingt" benötigten Güter oder Dienstleistungen ausschließlich oder nur in ausreichender Menge von russischen Unternehmen bereitgestellt werden können. Russische Kohle erfährt sogar eine weitreichendere Lockerung und darf weiterhin bis zum 10. August 2022 mit öffentlichen Steuergeldern eingekauft werden (unabhängig davon, ob mögliche Alternativen bestehen). Gleiches gilt im Übrigen für Auftragsvergaben transnationaler (privater) Unternehmen: Auch wenn es sich dabei nicht um öffentliche Gelder handelt, ist nicht nachvollziehbar, weshalb die beträchtlichen Auftragssummen der Global Player von den Einschränkungen nicht erfasst werden.
Unverständlich ist auch, weshalb russische Subunternehmer oder Lieferanten nur dann vom Vergabeverbot umfasst sind, wenn ihr Leistungsteil mehr als 10 Prozent der Auftragssumme beträgt. Russische Unternehmer können somit – wenn auch eingeschränkt – weiterhin als Subunternehmer oder Lieferant öffentlicher Aufträge profitieren. Zudem wird offengelassen, wie sich die 10-Prozent-Schranke berechnet: Verfügt jeder russische Subunternehmer oder Lieferant über ein 10-prozentiges Pouvoir oder dürfen nur insgesamt 10 Prozent der Auftragssumme an russische Subunternehmer und/oder Lieferanten fließen.
Noch schwerer wiegt der Umstand, dass lediglich öffentliche Aufträge im sogenannten "Oberschwellenbereich" vom Sanktionsregime umfasst sind. Dieser liegt bei Bauaufträgen bei 5,382 Millionen Euro und bei Dienst- und Lieferaufträgen bei 215.000 Euro. Alle öffentlichen Aufträge mit einem geringeren Auftragswert können weiterhin an russische Unternehmen vergeben werden. Die Tatsache, dass in Österreich rund 89 Prozent aller öffentlichen Aufträge unterhalb von 100.000 Euro liegen, verdeutlicht die erhebliche Lücke der EU-Sanktion. Anders formuliert: Dem Grunde nach könnten in Österreich öffentliche Aufträge im Wert von insgesamt 55 Milliarden Euro pro Jahr (sic!) – vom Sanktionsregime unbeeindruckt – an russische Unternehmen vergeben werden.
Gesellschaftspolitische Verantwortung
Das Spannungsverhältnis zum aktuellen gesellschaftspolitischen (und moralischen) Handlungsauftrag ist evident: Öffentliche Gelder tragen aufgrund ihrer besonderen Signalwirkung eine hohe gesellschaftspolitische Verantwortung. Auch in Hinblick auf völkerrechtliche Überlegungen dürfen diese Gelder nicht ohne Weiteres in ein kriegstreibendes Land fließen (Stichwort: Finanzierung völkerrechtswidriger Handlungen).
Vor diesem Hintergrund ist nicht nur der österreichische Gesetzgeber, sondern auch jeder öffentliche Auftraggeber aufgefordert, seine gesellschaftspolitische beziehungsweise völkerrechtliche Verantwortung wahrzunehmen und russische Unternehmen ausnahmslos von den öffentlichen Geldtöpfen fernzuhalten. Aus vergaberechtlicher Sicht stellen sich dabei mehrere Fragen: Dürfen öffentliche Vergaben im Zweifelsfall auch "strenger" sein, als die bestehenden – teilweise unklaren – EU-Sanktionen? Falls ja: Wie soll das in der Praxis konkret erfolgen? Ist eine offene Diskriminierung russischer Unternehmen im Rahmen von Vergabeverfahren überhaupt zulässig? Dass diese Fragen nicht leicht zu beantworten sind, zeigt eine aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 1. Dezember 2021, in der sich das Gericht für eine Gleichbehandlungspflicht gegenüber Bietern aus Drittstaaten – somit: auch gegenüber russischen Unternehmen – ausgesprochen hat.
Diskriminierungsverbot (nur) innerhalb der EU
Allgemein gilt, dass öffentliche Beschaffungen (auch im "Unterschwellenbereich") zwingend unter Einhaltung der sogenannten "Grundsätze des Vergaberechts" durchzuführen sind (wie insbesondere Gleichbehandlungspflicht und Diskriminierungsverbot).
Diese Grundsätze sind das Herzstück einer jeden Ausschreibung und gelten aufgrund ihrer elementaren Stellung für alle Unternehmen innerhalb der EU respektive des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR). Anderes gilt allerdings nach den europäischen Vergaberichtlinien (Vergabe-RL) für Unternehmen aus Drittstaaten: Diese sind nicht Nutznießer der europäischen Grundsätze und Grundfreiheiten und haben auch keinen garantierten Zugang zu Vergabeverfahren innerhalb der EU. Dies wurde auch von der Europäischen Kommission bereits in einer Mitteilung vom 24. Juli 2019 bestätigt, wonach eine Diskriminierung von Bietern aus Drittstaaten im Sinne des europäischen Wettbewerbs legitim sein kann.
Auch das Bundesvergabegesetz (BVergG 2018) regelt, dass Bieter mit Sitz außerhalb der EU bzw des EWR bei Vergaben diskriminiert werden dürfen. Anderes gilt nur, wenn völkerrechtliche Abkommen dem widersprechen. So garantiert beispielsweise das "Agreement on Government Procurement" Unternehmen aus der Ukraine (aber auch Unternehmen aus Israel oder Montenegro) ausdrücklich Zugang zu europäischen Ausschreibungen. Dies gilt jedoch nicht für russische Unternehmen: Die Russische Föderation ist nicht Partei dieses völkerrechtlichen Abkommens.
Diesen Überlegungen folgend hat auch das Bundesministerium für Justiz in einem aktuellen Rundschreiben klargestellt, dass es öffentlichen Auftraggebern freisteht, Unternehmer aus der Russischen Föderation von Vergabeverfahren auszuschließen. Bis dato wurde vom österreichischen Gesetzgeber noch keine normative Regelung erlassen, wonach die öffentliche Hand (auch im "Unterschwellenbereich") ausnahmslos zum Ausschluss russischer Unternehmer verpflichtet ist. Öffentliche Auftraggeber müssen daher selbst entschieden, ob beziehungsweise wie sie ihre Lenkungsverantwortung wahrnehmen möchten.
Vergaberecht braucht ein offenes Visier
Die Erläuternden Bemerkungen zum BVergG 2018 stellen klar, dass ein Unternehmen ab dem Zeitpunkt des Zugangs zum Vergabeverfahren "dieselben Rechte wie ein inländisches Unternehmen" genießt. Öffentliche Auftraggeber sollten daher frühzeitig Farbe bekennen und bereits in der Ausschreibungsunterlage beziehungsweise der Bekanntmachung ausdrücklich festlegen, dass russische Unternehmen von der Teilnahme ausgeschlossen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – sofern eine solche Regelung einmal festgelegt ist – sich freilich auch der öffentliche Auftraggeber daran halten muss.
Ebenso erforderlich ist die Definition des russischen Unternehmens selbst. Der öffentliche Auftraggeber muss bereits vorab festlegen, was er konkret unter einem "russischen" Unternehmen versteht. Aus Effizienzgründen sollten auch inländische Unternehmen umfasst sein, die von Russland kontrolliert werden; ein zugegebenermaßen nicht unheikler Balanceakt zwischen unzulässiger Diskriminierung und Ausübung von völkerrechtlicher Verantwortung. Hier gibt das 5. Sanktionspaket Schützenhilfe und liefert eine begrüßenswert klare Definition: Demnach sind alle russischen Staatsangehörigen und alle in Russland niedergelassenen Organisationen (in der Folge "russische Unternehmen") vom Vergabeverbot umfasst. Es sind aber auch alle in der EU bzw im EWR niedergelassenen Unternehmen umfasst, deren Anteile zu mehr als 50 Prozent unmittelbar oder mittelbar von diesen "russischen Unternehmen" gehalten werden. Und schließlich (als Auffangtatbestand für undurchsichtig agierende Einheiten) sind alle Unternehmen umfasst, die im Namen oder auf Anweisung dieser "russischer Unternehmen" handeln.
Im Ergebnis obliegt es – neben dem österreichischen Gesetzgeber – überwiegend der öffentlichen Hand, die aufgezeigten Lücken des Sanktionsregimes zu schließen und die bestehenden Vergabehebel klug einzusetzen. Dieser Artikel kann ein erster Beitrag dazu sein.
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