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Erika Pluhar und Isabella Suppanz

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

Die Schauspielerin und Autorin Erika Pluhar und die Theaterintendantin Isabella Suppanz über Erfolg und Neid am Theater, die Rolle des Publikums und ihre langjährige Freundschaft.


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Es gibt viele Definitionen von Kunst. Mitunter tritt allerdings auch der Fall ein, dass man auf abstrakte Interpretationen gänzlich verzichten kann, zumal sich das Dargebotene in einer Weise erschließt, die unmittelbar und demzufolge direkt spürbar und erfahrbar ist. Eine Künstlerin, die dies zu vermitteln versteht, ist Erika Pluhar. Sei es als Schauspielerin, Sängerin oder Autorin: Im Mittelpunkt ihres Schaffens steht der Mensch, bzw. all jene zutiefst menschlichen Erfahrungen, die das Leben auszeichnen. In Isabella Suppanz, der neuen Intendantin des Landestheaters Niederösterreich, fand Erika Pluhar nicht nur in künstlerischer Hinsicht eine wichtige Weggefährtin. Die "Wiener Zeitung" sprach mit den beiden Künstlerinnen.

Wiener Zeitung: Gerade in der Theaterszene ist es ungewöhnlich, wenn man über eine Spielstätte ausschließlich Positives hört: Hohe Auslastungszahlen, Zufriedenheit beim Ensemble und keine Forderungen nach einem höheren Budget. Wie ist das möglich?Isabella Suppanz: Im Rahmen der Neugründung des niederösterreichischen Landestheaters ist es einfach gelungen, dass das Programm vom Publikum angenommen wurde. Das Konzept, sich ausschließlich auf Sprechtheater zu konzentrieren, scheint aufzugehen.

Erika Pluhar: Genau das ist der Punkt, der mir sehr gut gefällt. Wenn ich daran denke, wie sehr geunkt wurde, als bekannt wurde, dass im Landestheater Niederösterreich ab sofort keine Oper oder Operette mehr gespielt wird!

Suppanz: Und nun hatten wir in unserer ersten Spielzeit eine Auslastung von 88 Prozent.

Pluhar: Noch dazu mit einem gleichermaßen ambitionierten und mutigen Programm.

Suppanz: Aber weil Sie eingangs die budgetäre Lage angesprochen haben: Ich finde dieses finanzielle Gejammer in der Theaterlandschaft lächerlich. Schließlich weiß man als Intendantin oder Intendant, welche Mittel man zur Verfügung hat und kann sich sein Budget entsprechend einteilen. Sicher gibt es immer Wünsche, aber das Lamentieren über das Geld sollte bestimmt nicht das alles dominierende Thema sein.

Pluhar: Beim Geld sind immer so viele Ausreden mit im Spiel! Und ich sage das vor dem Hintergrund meiner 40-jährigen Burgtheater-Erfahrung: Viel Geld zu verläppern war speziell in den letzten Jahren der Peymann-Ära eine Prestigesache.

Suppanz: Gut, die Zeiten, als man sich um viel Geld Requisiten herstellen ließ, die dann bei der zweiten Probe weggeschmissen wurden, sind endgültig vorbei.

Pluhar: Aber in gewissen Jahren war Geld an der Burg keine Frage. Heute sitzt der Peymann in Berlin und sagt: wie schön doch alles in Wien war!

Suppanz: Jetzt sind die Mittel eingefroren. Seit der Privatisierung hat die Holding ein gedeckeltes Budget. Dass nun alles enger wird, war klar.

In dem Moment, in dem sich Erfolg einstellt, werden meistens Neid und Eifersucht spürbar. Macht sich dieser Effekt im Rahmen Ihrer Arbeit bereits bemerkbar?

Suppanz: Nein, dafür reicht der Erfolg anscheinend noch nicht aus.

Pluhar: Das ist alles eine Frage der Wahrnehmung. Mir hat man Jahrzehnte lang gesagt, wie furchtbar die Intrigen am Theater sind. Persönlich habe ich aber nie eine zu spüren bekommen.

Aber Sie hatten doch Konflikte mit Claus Peymann?

Pluhar: Ja, aber das war keine Intrige, sondern eine ganz bewusste Auseinandersetzung, die sich auf seine menschliche Haltung, nicht aber auf seine künstlerischen Ergebnisse bezog. Ich denke, wenn man sich mit Neid und Ränkeschmieden nicht beschäftigt, kommen diese Phänomene gar nicht auf einen zu.

Suppanz: Vor allem habe ich dafür gar keine Zeit. Der Mitarbeiterstab des NÖ-Landestheaters ist relativ klein und demzufolge müssen wir alle sehr viel arbeiten. Die Zeit zum Intrigieren haben wir einfach nicht.

Pluhar: Andererseits steht natürlich außer Frage, dass auch am Theater Eifersucht ein Thema ist: Eifersucht auf Erfolg, auf Rollen, auf Besetzungen. Aber auch da bin ich der Meinung, dass man zuerst einmal bei sich selbst ansetzen muss.

Inwiefern?

Pluhar: Wenn es einem halbwegs gelingt, selbst nicht neidisch und eifersüchtig zu sein, sondern auch anderen Menschen Erfolg zu gönnen - was ja, wie wir alle wissen, nicht so leicht ist -, dann nimmt man auch den gegen die eigene Person gerichteten Neid nicht so stark wahr.

Suppanz: Ich habe eher den Eindruck, dass viele Menschen sich mit mir freuen und sagen, dass ich mir den Erfolg verdient habe.

Pluhar: Womit wir beim Thema Kompetenz angelangt wären. Und Kompetenz hat wiederum sehr viel damit zu tun, dass man vorgegebene finanzielle Rahmen nicht sprengt. Das notorische Überschreiten von Budgets ist in meinen Augen immer auch ein Mangel an Kompetenz. Und im Falle von Isabella Suppanz kommt hinzu, dass sie auch als Regielehrerin am Reinhardt Seminar tätig war und von daher die junge Schauspielergeneration gut kennt.

Suppanz: Das stimmt, das ist ein Vorteil. So gesehen gibt es eigentlich kaum Überraschungen, weil ich die Theaterszene tatsächlich aus vielen Perspektiven kenne.

Pluhar: Meiner Meinung nach stößt man im Kulturbetrieb - um dieses scheußliche, aber in diesem Fall passende Wort zu verwenden - immer wieder auf diesen Mangel an Kompetenz; und gleichzeitig auf dieses Hofieren von Dilettantismus.

Wie darf man das konkret verstehen?

Pluhar: Es gibt am Theater gewisse Personen, die gerade auf Grund ihrer Unprofessionalität reüssieren; eben weil ihnen diese Eigenschaft als großes Plus ausgelegt wird. Andererseits ist Professionalität etwas, das ich überaus schätze. Natürlich soll und muss man skeptisch sein, wenn Professionalität zur Routine verkommt. Ich bin ein Mensch, der neben seiner literarischen Arbeit immer wieder auf der Bühne steht - sei es singend, lesend oder zuletzt im Rahmen des Zweipersonenstückes "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?". Diese Balance zu finden, zwischen Professionalität und Nicht-Routiniert-Sein, ist eine Lebensübung, die man auf der Bühne immer wieder direkt ausführen kann - und die meiner Meinung nach zum Leben gehört, auch zum privaten Leben. Diese Kompetenz, die einen befähigt, Bescheid zu wissen, ist wichtig, gleichzeitig darf man aber nicht verlernen, immer neu zu empfinden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass ein mit Wachheit, Neugier und Interesse fundierter Professionalismus immer modern sein wird. Das ist für mich ein wesentliches Lebenskapitel.

Können Sie ein konkretes Beispiel für den von Ihnen angesprochenen Dilettantismus nennen?

Pluhar: Also gut: Schlingensief. Das soll sein. Aber diese Art Theater ist mir insofern unangenehm, weil es immer nur eine gewisse Form von Skandal oder von Schock ausnutzt. Doch das konstante Schockieren ist auf Dauer um vieles langweiliger als alles andere am Theater.

Suppanz: In diesem Zusammenhang muss man auch sagen, dass eine Krise des Sprechtheaters herbeigeredet wurde. Man dachte, die Leute wollen immer schrillere Events, zumal man nicht darauf vertraut, dass die Menschen im Grunde gerne zuhören und mitdenken.

Pluhar: Meiner Meinung nach ist das eine Desavouierung des Publikums. Ich bin ein großer Verteidiger des Publikums, wie gemischt auch immer es zusammengesetzt sein mag. Dieser Organismus, dieses Wesen ist immer ver ständig. Wenn etwas stimmt, dann reagieren die Menschen auch positiv. Wenn sie unruhig auf ihren Sitzen herumwetzen und ihnen buch stäblich langweilig ist, dann gibt es hierfür meistens einen legitimen Grund, der in der Regel auf der Bühne zu suchen ist. Und wenn die Leute im Theater husten, husten sie zu Recht.

Frau Pluhar, Sie haben zuvor mit "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?" Ihre bisher letzte Theaterproduktion erwähnt. Sie, Frau Suppanz haben bei diesem Stück Regie geführt. Gibt es darüber hinaus auch andere gemeinsame künstlerische und menschliche Anknüpfungspunkte?

Pluhar: Jede Menge!

Suppanz: Das stimmt. Wir kennen uns schon sehr lange.

Pluhar: Im Grunde habe ich Isabella über meine Tochter Anna kennen gelernt.

Suppanz: Das war zu jener Zeit, als ich Musikdokumentationen für das amerikanische und kanadische Fernsehen machte. Anna war damals Kameraassistentin.

Pluhar: Später wurde Isabella Dramaturgin am Burgtheater. Da kam es natürlich auch immer wieder zu gemeinsamen Aktivitäten.

Suppanz: Die CD-Produktion "Es war einmal - ein Lebensweg in Liedern" etwa war auch ein gemeinsames Projekt.

Pluhar: Stimmt! Dabei hat mir Isabella geholfen, meinen Lebensweg dramaturgisch in Liedern nachzuerzählen.

Das heißt, aus dem langjährigen Arbeitsgespann ist irgendwann eine Freundschaft geworden?

Pluhar: Ich würde umgekehrt sagen, dass aus der Freundschaft ein Arbeitsgespann wurde. Eigentlich so, wie es sein soll. Ich glaube, jede Zweisamkeit, die freundschaftliche genauso wie die Liebe, kann nur funktionieren, wenn man auch noch andere Themen hat als nur die persönliche Befindlichkeit oder die innige Verbundenheit.

Sie meinen, spannende gemeinsame Projekte haben die Freundschaft wach gehalten?

Suppanz: Auch traurige Anlässe haben sie wach gehalten. Es waren in gewisser Weise eben immer auch Reisen, die man miteinander unternommen hat.

Pluhar: Etwa Isabellas Hilfestellung in meinem Leben, als meine Tochter starb. Mein Enkelsohn war damals 15 Jahre alt. Isabella war stets zur Stelle und hat uns sehr geholfen, diese Jahre zu überbrücken.

Suppanz: Andererseits verbindet uns auch die Liebe zur Literatur. Ich bin ein "Lese-Junkie". Das mache ich aus dem alten Kinderglauben heraus, dass Literatur einen erzieht. Ich habe viele Irrtümer meines Lebens aus schlechter Literatur bezogen. Allerdings auch viele Erkenntnisse aus guten Büchern. Literatur ist für mich nicht zuletzt auch eine Lebenshilfe.

Pluhar: Bei mir hat dieses viele Lesen ein wenig nachgelassen, als ich intensiv zu schreiben begann. Schreiben und Lesen funktioniert nicht so ganz. Natürlich kann mich immer noch ein Buch gefangen halten, aber generell lese ich nicht mehr so viel wie in früheren Jahren.

Suppanz: Vielleicht auch deshalb, weil Lesen das eigene Schreiben färbt.

Pluhar: Das finde ich gar nicht. Genauso wie ich übrigens nicht der Meinung bin, dass ein Schauspieler, der einem gefällt, das eigene Spiel beeinflussen kann. Wenn man sich schreiberisch verändert oder weiterentwickelt, ist das nach meinem Empfinden ein Prozess, der im Inneren passiert und nicht durch das Lesen von Büchern in Gang gesetzt wird.

Suppanz: Ein weiterer Aspekt, der mir an Literatur so gefällt, ist die Tatsache, dass dort feine Beobachtungen oft eine entscheidende Rolle spielen. Ein winziges Detail kann die Handlung in völlig neue Bahnen bringen. Und auf der anderen Seite zeichnet sich gute Literatur auch durch das bewusste Aussparen von Dingen und Sätzen aus.

Pluhar: Das Aussparen ist in der Literatur eine Art Lebenstraining. Wobei ich sagen muss, dass ich alle beruflichen Aspekte immer stark im Hinblick auf das Leben betrachte. Egal, ob ich auf der Bühne bin oder ob ich schreibe: Beides erachte ich als Lehrmeister für das Leben. Und diesbezüglich ist gerade das Weglassen eine enorm wichtige Übung. Vor allem in unserer Zeit, die ja eine Epoche der Ornamente ist. Alles wird überlagert von Plakaten, Bildschirmen und Bildern - kurz gesagt: von optischen Geschmacklosigkeiten. Inmitten dieser Reizüberflutung das Substanzielle im Leben zu entdecken, wird immer schwieriger. Diesbezüglich könnte das Theater hilfreich sein. Wenn ein Abend gut ist, dann bringt er auch etwas von dieser Substanz. Deshalb bin ich gegen Aufführungen, die nur aus Verpackung bestehen.

Was ist Ihrer Meinung nach das Substanzielle, zu dem man im Leben gelangen sollte?

Pluhar: Das kann man sehr schnell erfahren - gerade in Gesprächen mit Menschen. Das sind unsere Ur-Erfahrungen, in denen wir einander viel näher sind, als uns immer weisgemacht wird. Jeder Mensch erfährt Eifersucht, weil jeder Mensch Liebe erfährt. Jeder Mensch erfährt Schmerz, Verlust, Missachtung, Mangel an Selbstwert, Freude, Genuss oder Tod. Das heißt jetzt nicht, dass man sich ausschließlich auf diese - ich nenne sie ganz bewusst - "Uremotionalitäten" konzentrieren soll. Schließlich spielt der Verstand auch eine wesentliche Rolle.

Suppanz: Mitunter allerdings eine zu wesentliche Rolle.

Pluhar: Ja - der Verstand, der immer alles zu begreifen sucht, kann uns auch gefährden. Innerhalb eines Menschenlebens gibt es doch vieles, das man weder erklären noch verstehen kann, aber dennoch weiß. Das wollte ich zuvor mit diesen Uremotionalitäten zum Ausdruck bringen: sie machen das Leben aus; und nicht die Dinge des Lebens.

BiographischesErika Pluhar wurde in Wien geboren, studierte am Max Reinhardt Seminar in Wien und war seit ihrem 20. Lebensjahr bis 1999 ständiges Mitglied des Wiener Burgtheaters. Sie wurde durch zahlreiche Rollen in Film und Fernsehen im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt.

Ihre Laufbahn als Sängerin begann während der Ehe mit André Heller, wobei sie bald schon die Texte ihrer Lieder selbst schrieb. Nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit Antonio D´Almeida wurde mittlerweile der junge österreichische Gitarrist Klaus Trabitsch zu ihrem musikalischen Partner.

Trotz vereinzelter Theaterprojekte - zuletzt das Zweipersonenstück mit Werner Schneyder, "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?" - mutierte die Schauspielerin Erika Pluhar mehr und mehr zur Autorin. Ende der Achtziger schrieb sie ihren ersten Roman, "Als gehörte eins zum anderen. Eine Geschichte", der 1991 bei Ueberreuter in Wien erschien und mit über 100.000 Exemplaren zu einem großen Verkaufserfolg wurde. Seitdem sind zahlreiche Bücher erschienen, zuletzt im Herbst 2005 der Roman "Reich der Verluste" im Kölner Verlag DuMont.

Isabella Suppanz wurde in Spindlhof bei Wildon in der Steiermark geboren. Sie studierte in Wien Theaterwissenschaft, Romanistik, Pädagogik und Kunstgeschichte. 1978/79 absolvierte sie eine Schauspielausbildung an der Schule von Lee Strasberg in New York und promovierte 1980 zum Dr. phil.

Von 1981 bis 1986 war sie neben eigener Regietätigkeit als Regie- und Dramaturgie-Assistentin am Burgtheater beschäftigt. Es folgten zahlreiche Aufenthalte in den USA sowie in Frankreich.

Von 1989 bis 2004 war Suppanz Dramaturgin am Theater in der Josefstadt, ab 1990 Lektorin für Theaterwissenschaft an der Universität Wien, von 1993 bis 2003 Lehrbeauftragte am Max Reinhardt Seminar in der Regieklasse Achim Benning.

1995 initiierte und leitete sie das grenzüberschreitende Theaterfestival "Grenze im Fluß - Meja na reki", das mit dem EU-Beitritt Sloweniens 2004 beendet wurde. Seit Oktober 2005 leitet sie das Landestheater Niederösterreich in St. Pölten und führte es in die neue Ära eines reinen Sprechtheaters.