Mitten im Zeitalter der Globalisierung erlauben sich islamistische Fanatiker, im Ursprungsgebiet des Christentums die Christen zu verfolgen.
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Die jüngsten Bilder aus Ägypten erinnern - im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends! - an die Vorstellungen von Christenverfolgungen in der Antike: brennende Kirchen, verletzte Priester, um ihr Leben fürchtende Gläubige. So hat es der Wiener griechisch-orthodoxe Metropolit Arsenios Kardamakis in einem Solidaritätsaufruf für die Christen im Nahen Osten formuliert. Mit seiner zugespitzten Formulierung hat der Metropolit die Dinge auf den Punkt gebracht. Mitten im Zeitalter der Globalisierung, in dem es weltweit keine Grenzen für den Austausch von Geldströmen, Waren und Ideen gibt, erlauben sich islamistische Fanatiker, im Ursprungsgebiet des Christentums - im Nahen Osten - die Christen zu verfolgen.
Freilich muss man sich vor der Vorstellung des "Religionskriegs" hüten. Auch in Ägypten geht es nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen.
In den dramatischen Tagen ab dem
14. August, als vor allem aufgehetzte Jugendliche - als "Vergeltung" für die blutige Räumung der Protestcamps der Muslimbrüder - dutzende Kirchen stürmten und in Brand setzten, gab es viele muslimische Ägypter, die sich vor ihre christlichen Mitbürger und deren Heiligtümer stellten. Funktionäre der Muslimbrüder wollten sich in den vergangenen Tagen ausreden, die Untaten seien auf das Konto von "misguided boys" gegangen. Aber wer hat diesen "boys" die Ideen gegeben?
Trotz der schlimmen Erfahrungen halten die Christen Ägyptens an der nationalen Einheit fest. Die koptische Zeitung "Watani" schreibt: "Vor allem die Kopten haben einen hohen Preis bezahlt im Kampf gegen den Terror. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um über verbrannte oder zerstörte Kirchen zu weinen. Wir wissen, dass die Kopten aufgrund ihrer patriotischen Haltung angegriffen wurden, weil sie Seite an Seite mit ihren muslimischen Landsleuten Ägypten verteidigt und es aus der Hand der Islamisten gerettet haben."
Aber es geht im Nahen Osten nicht nur um Ägypten. Die Situation der Christen in Syrien oder im Irak ist noch viel dramatischer als die ihrer Glaubensgeschwister in Ägypten, die sich auf eine gefestigte Kirchenstruktur stützen können. Überall aber geht es darum, dass die Christen keine Sonderrechte wollen; die Zeiten, als die europäischen Mächte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger herzhaft zugunsten der orientalischen Christen eingriffen, sind vorbei. Ab 1945 präsentierten sich den Christen des Nahen Ostens im Wesentlichen nur zwei Optionen: Emigration oder Suche nach Koalitionen mit autoritären Machthabern.
Jetzt gibt es eine einzige Zukunftshoffnung für die orientalischen Christen (denen das europäische Christentum im Übrigen alles verdankt, was es ausmacht: die Heilige Schrift, die Theologie, die Spiritualität, die Architektur, die christliche Kunst usw.): dass allen Akteuren im Nahen Osten unmissverständlich klargemacht wird, dass sie in der globalisierten Welt nur mitspielen dürfen, wenn sie sich an die Spielregeln halten. Und diese Spielregeln lauten: gleiche Rechte für alle Bürger, volle Anerkennung der Menschenrechte (angefangen von der umfassenden Religionsfreiheit) ohne Wenn und Aber (und ohne Ausflüchte in Richtung Scharia) sowie Förderung der Minoritäten.