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Erinnerungskultur im Wartemodus

Von Werner Reisinger

Politik
Rund um das erhaltene Krematorium des ehemaligen KZ Gusen errichteten Überlebende 1965 ein Memorial. Nun könnten auch andere Liegenschaften des ehemaligen Lagers angekauft werden. Doch der Bund zögert.
© Memorial/Lucignolobrescia

Polens Ankündigung, sich auf dem Gelände des ehemaligen KZ Gusen einzukaufen, erhöht den Druck auf den Bund.


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Spätestens seit den 2000er-Jahren steht die Sicherung, Erhaltung wie auch die genaue Erforschung der Stätten nationalsozialistischer Vernichtung in Österreich im Fokus. Während in Mauthausen längst ein umfassendes und modernes Konzept für die dortige Gedenkstätte realisiert wurde, gibt es andernorts viel aufzuholen. Im westlichen Teil des Lagerkomplexes Mauthausen-Gusen, unter anderem auf dem Gebiet der Gemeinde Gusen, bestand während der NS-Zeit ein weitläufiger Lagerteil, in dem mindestens 71.000 Menschen inhaftiert waren. Die Hälfte von ihnen fanden in den Gusener Lagern, die zu den schlimmsten und gefürchtetsten KZs zählten, den Tod. Nicht jedoch die Republik Österreich, sondern Überlebende errichteten 1965 ein Memorial rund um das erhaltene Krematorium in Gusen, erst 2004 kam ein Besucherzentrum der Republik dazu.

Wesentliche Teile des ehemaligen Lagergeländes sind zwar in ihrer Originalsubstanz erhalten, jedoch in Privatbesitz - eine Diskussion über den Ankauf und die Weiterentwicklung der Gedenkstätte Gusen schwelt schon lange. Nun kommt durch den polnischen Premier Mateusz Morawiecki Bewegung in die Debatte: Polen wolle die Überreste ankaufen, sagte Morawiecki anlässlich des Besuchs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel im ehemaligen KZ Auschwitz. Dass die Eigentümer der Liegenschaften, die seit einigen Jahren auch unter Denkmalschutz stehen, Verkaufsbereitschaft signalisieren, erhöht nun den Druck auf den Bund erheblich. Doch dieser zögert, während das Mauthausen Memorial, dessen wissenschaftlicher Beirat und auch die betroffenen Gemeinden vor Ort sich dezidiert für einen Ankauf aussprechen.

Konkret geht es um das "Jourhaus", das markante Eingangsgebäude ins ehemalige Lagergelände, um zwei gemauerte Häftlingsunterkünfte, SS-Baracken sowie den Appellplatz und den Schotterbrecher, also um ein weitläufiges Areal. Die Liegenschaften befinden sich im Besitz der Firma Poschacher sowie eines weiteren, privaten Eigentümers. Bereits seit der Jahreswende 2018/19 liegt eine vom Innenministerium in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) vor, neben dem Mauthausen Memorial wurde auch die betroffene Gemeinde, die sich zu einer geschichtspolitischen "Bewusstseinsregion" erklärt hat, eingebunden. Sie beinhaltete nicht nur eine Schätzung des Ankaufspreises, sondern auch Pläne zur Weiterentwicklung der Gedenkstätte.

Politisches Interesse der polnischen PiS-Regierung

Für den Historiker Bertrand Perz ein möglicher Grund, wieso der Bund mit einer Entscheidung zögert. Aus seiner Sicht müsse die Republik die Liegenschaften ohnehin ankaufen, "da führt kein Weg vorbei", sagt Perz. Sich von möglichen weiteren Kosten bei der Weiterentwicklung der Gedenkstätte abschrecken zu lassen und die Gelegenheit verstreichen zu lassen, hält er für ein fatales Signal. "Ob man das Konzept der Weiterentwicklung der Gedenkstätte dann schnell oder langsamer entwickelt, ist eine andere Frage."

Wichtig sei, sich die Liegenschaft zu sichern. Man stehe nun vor der einmaligen Situation, dass eigentlich alle nicht durch eine Wohnsiedlung verbauten Teile des Lagers in den Besitz des Bundes wechseln könnten. Auch Barbara Glück, Leiterin des seit 2017 in eine Bundesanstalt öffentlichen Rechts umgewandelte Mauthausen Memorials, plädiert für einen raschen Ankauf. "Polen ist als Mitglied unseres internationalen Beirats ein wichtiger Partner", sagt sie. Sie verstehe das Anliegen der Polen. Der Appellplatz und andere zum Verkauf stehende Orte hätten für viele Angehörige polnischer Opfer - die Polen gehörten zu den größten Opfergruppen in Gusen - eine wichtige Bedeutung, es gehe also um die Weiterentwicklung der Gedenkstätte. "Es gibt eine Notwendigkeit, und vielleicht ist gerade jetzt ein günstiger Zeitpunkt."

Einen etwaigen Verkauf an Polen sieht Zeithistoriker Perz kritisch - obwohl er für das Anliegen Polens, in dem der rechtskonservative PiS regiert, grundsätzlich Verständnis aufbringt. "Natürlich greift die polnische Regierung das auf und betreibt damit auch Erinnerungspolitik", sagt Perz.

Gusen sei für Polen seit jeher als Erinnerungsort mit Mauthausen gleichwertig, 1940/41 seien zahlreiche Angehörige der polnischen Intelligenz nach Gusen verschleppt und dort ermordet worden. Perz befürchtet, dass Erwerb der Liegenschaft durch Polen den Charakter Gusens als internationaler Erinnerungsort verzerren könnte - "was anderen Opfergruppen gar nicht gefallen würde". Der Historiker kritisiert, dass das Mauthausen-Memorial den BIG-Bericht bis dato noch immer nicht einsehen kann - trotz Zusage der ehemaligen ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Diese hatte die Übermittlung des Berichts eigentlich für den April 2019 angekündigt. Dazu kam es aber nicht.

Auch die Grünen machen Druck in der Causa. Deren Abgeordnete Eva Blimlinger hat zu Gusen eine parlamentarische Anfrage eingebracht. Sie will von Interimsinnenminister Wolfgang Peschorn unter anderem wissen, wieso die Machbarkeitsstudie der BIG bis heute nicht veröffentlicht wurde und auch, wie hoch die BIG den Ankaufspreis der zum Verkauf stehenden Liegenschaften schätzt.

Dass es in Kürze eine Entscheidung des Bundes geben wird, ist unwahrscheinlich. Seitens des Innenministeriums spielt man weiter auf Zeit. Man prüfe den BIG-Bericht "verschiedene Optionen" und "in alle Richtungen", so ein Sprecher am Montag. Es sei unklar, ob es noch unter Minister Peschorn ein Ergebnis gebe.