Zum Hauptinhalt springen

"Erkenne mein Land nicht wieder"

Von Klaus Huhold

Politik

Die Protestierenden seien bis zum Äußersten entschlossen, berichtet Savin.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wiener Zeitung": Wie weit stellen die Räumung des Maidan und all die Gewalt eine Zäsur für die Ukraine dar?Kyryl Savin: Es ist sicherlich eine Zäsur. Ich erkenne mein Land nicht wieder, vor allem die Stadt Kiew. Es gab so viele Tote und Verletzte. Dass die Menschen weiterhin kämpfen, ist absolut einmalig. Ein Journalist hier hat gesagt: Solche Gewaltszenen hat Kiew zuletzt wahrscheinlich im Zweiten Weltkrieg gesehen.

Ist überhaupt noch eine friedliche Lösung möglich?

Im Moment stehen die Chancen dafür schlecht. Denn beide Seiten haben bisher keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt. Präsident Wiktor Janukowitsch will nur über die Bedingungen einer Kapitulation der Demonstranten sprechen. Diese wollen sich aber offenbar nur mit einem Rücktritt des Präsidenten zufriedengeben. Das kommt aber wiederum für Janukowitsch nicht in Frage.

Könnte es nun zu einer Teilung des Landes in einen eher proeuropäischen Westen und einen russophilen Osten kommen?

Eher nicht. Denn, auch wenn das viele so sehen wollen, das ist vorrangig kein Konflikt zwischen dem Osten und dem Westen der Ukraine. Vielmehr ist es so, dass Bürger das autoritäre Regime von Janukowitsch satt haben. Sie erheben sich und kämpfen gegen den Präsidenten, gegen die Regierung, gegen die Macht. Die Spaltung des Landes ist aber grundsätzlich auch nicht ausgeschlossen. Gerade Politiker aus der regierenden Partei der Regionen provozieren diese auch und sprechen etwa über die Föderalisierung des Landes.

Und wie groß ist die Gefahr eines Bürgerkriegs?

Diese Frage deckt sich eigentlich mit der nach der Spaltung. Wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt, dann wird die Spaltung sehr wahrscheinlich das Ergebnis davon sein.

Die EU will nun zu Sanktionen gegen die ukrainische Führung greifen. Aber werden diese die Regierung überhaupt treffen?

Ich glaube nicht, dass Sanktionen im Moment etwas Spürbares leisten können. Dabei würde es ja wahrscheinlich um Visasanktionen und das Einfrieren von Konten bei westeuropäischen Banken gehen. Kurzfristig wird das Janukowitsch eher nicht treffen und daher wohl nicht zur Lösung der Krise beitragen.

Welche Strategie würden Sie sich von der EU erwarten?

Ich bin mir nicht sicher, ob die EU dazu bereit ist - aber sinnvoll wäre es, wenn die EU mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ernsthafte Gespräche führt. Denn Russland gibt ja Janukowitsch politische und finanzielle Rückendeckung. Wenn Russland den Präsidenten nicht mehr unterstützt, dann wird Janukowitsch wahrscheinlich sehr schnell aufgeben müssen.

Wie schätzen Sie überhaupt Russlands Rolle bei der jüngsten Eskalation des Konflikts ein? Ist es vorstellbar, dass die ukrainische Regierung den Maidan räumen lässt, ohne sich mit Moskau abgesprochen zu haben?

Das ist, glaube ich, abgesprochen. So ist etwa der Ukraine-Berater von Putin schon lange für eine gewaltsame Beendigung der Proteste.

Welche Rolle spielen die Oligarchen in diesem Konflikt?

Sie können sicher Entscheidungen von Janukowitsch beeinflussen. Bisher haben sie aber eher versucht, im Schatten zu bleiben, und haben mehrheitlich in vorsichtigen Formulierungen zu einem Gewaltstopp aufgerufen. Sie scheinen hinter dem Präsidenten zu stehen, deuten aber auch Kritik an Janukowitsch an. Sie haben sich offenbar noch nicht endgültig entschieden, auf welcher Seite sie sich strategisch positionieren wollen.

Russland und die Oligarchen sind also die zwei Pfeiler der Regierung von Janukowitsch.

Genau. Und ihre Interessen sind auch verstrickt. Wenn Russland Handelssanktionen gegen die Ukraine einführt, dann spüren das in erster Line die Oligarchen. Sie machen dann Druck auf Janukowitsch, und er muss zurückrudern.

Wie weit haben die Oppositionsführer noch Kontrolle über die Demonstranten?

Sie verlieren immer mehr die Kontrolle über die Straße, die sie ja schon von Anfang an nicht vollkommen kontrolliert haben. Die Protestierenden haben ziemlich wenig Vertrauen in die politische Opposition. Sie wird verdächtigt, dass es ihr vielmehr darum geht, sich Positionen zu verschaffen, als das politische System grundlegend zu ändern. Und das ist genau das, was die Protestierenden wollen: grundlegende Reformen und mehr Demokratie.

Woher speist sich die Wut der Demonstranten? Ist das nur politische Empörung, oder spielt auch Frust über harte Lebensumstände und Perspektivlosigkeit mit?

Das alles spielt zusammen. Hinzu kommt: Die Ukrainer sind sehr geduldige Menschen, sie haben ja sehr lange alle möglichen Regime hier ertragen. Jetzt aber haben es die Leute offenbar wirklich satt. Sie wollen, dass die Ukraine endlich ein normales europäisches Land wird. Gleichzeitig sehen sie, dass die politische Elite das große Hindernis für diese Veränderung ist, und Janukowitsch ist das Gesicht dieser Elite. Man will dieses System nicht mehr haben und deshalb steht man auf, um dagegen zu kämpfen.

Und der Zorn geht so weit, dass die Leute sogar bereit sind, dafür zu sterben?

Ja, sehr viele. Auf dem Maidan sind die Menschen sehr entschlossen. Dort wird jeder sagen, dass die Zeit gekommen ist, das Land zu verändern, und dass man bereit ist, sich dafür zu opfern.

Die Leute, die nun noch weiter demonstrieren - woher kommen sie?

Die Bewegung besteht aus zwei Teilen. Es gibt einen militanten Teil, das sind diejenigen, die tatsächlich kämpfen. Dann gibt es viele Leute, die nicht an den Auseinandersetzungen teilnehmen, aber den Protest unterstützen und die Masse ausmachen. Die meisten Militanten rekrutieren sich aus rechtsradikalen Gruppen und Organisationen. Aber mittlerweile finden sich unter ihnen auch viele, die im Laufe der Proteste radikalisiert worden sind und die aufgrund ihrer Lebensumstände wenig zu verlieren haben.

Zur Person



Kyryl Savin

ist der Leiter des Kiew-Büros der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung, die den deutschen Grünen nahesteht.