Der Galapagos-Archipel, der zu Ecuador gehört, war einstmals ein Ankerplatz für Abenteurer. Seit den Forschungen von Charles Darwin sind die tierreichen Inseln ein Ort der lebendigen Naturkunde.
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Die junge Dame kommt direkt auf mich zu, blickt mich neugierig an und zeigt mir dann mit einer Rolle rückwärts, was für eine erbärmliche Schwimmerin ich bin. Umkreist mich, beäugt mich von unten, hinten und rundherum, protzt mit einer weiteren Rolle rückwärts, schwimmt vor mir her, dann wieder unter mir durch, taucht auf, dreht Pirouetten, streift mich fast, schlägt wieder Purzelbaum, lässt mich ihr nachschwimmen, kommt zurück, wiederholt das Spiel - bis es der Seehunddame nach gut zwanzig Minuten langsam doch langweilig wird, mit so einem plumpen Plätscherwesen herumzudümpeln, und sie sich wieder davon macht.
Niemals werde ich diese "Tanzstunde" vergessen, nie diesen Blick, mit dem sie mich interessiert betrachtet hat: spielerische Kommunikation mit einem wilden Tier mitten im Meer. Heute der Traum jedes Besuchers dieser einzigartigen Inselwelt vor der Küste Ecuadors, nachdem Darwin uns die Augen für dieses geologische Evolutionsmuseum geöffnet hat. Heute, da wir wissen, dass diese Inselgruppe durch das ständige Weiterschieben der Erdkruste (in diesem Fall der Nazca-Platte) über einem Hotspot entstanden ist, der Magma aus dem Erdinneren "rülpst": Die ältesten Inseln, vor drei Millionen Jahren hochgepresst, sind östlich gewandert, die jüngsten liegen im Westen, lächerliche 700.000 Jahre alt. Doch nicht nur Vulkane, auch Faltungen haben Inselformen geschaffen, im Vergleich mit den Vulkankegeln leicht erkennbar an ihren abgeflachten Hügeln. Aber auch Wind und Wellen formen und bedrängen das Gestein, und so sind bereits viele Inseln, die es Richtung Festland gab, wieder versunken wie die nur noch mit Teilen des Kraterrandes verbliebene Isla Genovesa.
Die Schildkröten
Die auf dem Äquator gelegenen Galapagos - 13 größere Inseln, fünf davon bewohnt, die größte Isabela, die zweitgrößte (mit Flughafen) Santa Cruz, und über 70 kleinere mit weniger als zehn Quadratkilometer - sind nach dem wulstigen Panzer der Riesenschildkröten benannt, die, verschieden aussehend, auf den verschiedenen Inseln leben. Mit den Gewässern vertraute Schiffskapitäne konnten die Herkunft einer Schildkröte nach ihrer Panzerform bestimmen: ein Hinweis für selbstständige Evolution, den Darwin dereinst ignorierte. Erst lange nach Verlassen der Inselgruppe dachte er über die seltsamen Verschiedenheiten auf den einzelnen Inseln nach und entwickelte Jahre später anhand von Finkenschnäbeln seine Evolutionstheorie. Übrigens zeitgleich mit dem Naturforscher Alfred Russel Wallace, den er - dank besseren Lobbyings - aus der Evolutions-Urheberlegende verdrängte.
Was Darwin bei seinem Besuch mehr interessierte, war der Geschmack der Schildkröten, seiner Meinung nach besser gegrillt als gekocht zu verzehren. Seine Notizen über die Galapagos sind nicht gerade schmeichelhaft: "Die verkümmerten Bäumchen zeigen kaum Leben . . . die Luft ist stickig und schwül . . . die Pflanzen riechen unerfreulich. . ." Die Iguanas beschreibt er als "höchst unappetitliche, ungeschickte Echsen . . . schwarz wie das poröse Gestein, über das sie kriechen . . . Kobolde der Finsternis. . . passen zur unwirtlichen Landschaft". Albemarle Island macht für ihn den Eindruck einer Baustelle, einen Kratersee findet er gräulich salzig, und an einem anderen Kratersee, immerhin grün umwachsen und "rather pretty", findet er in den Büschen den Schädel eines von der Mannschaft ermordeten Kapitäns eines Robbenfängerschiffes. Er entdeckt auch hübschere Stellen, wie auf Charles Island, wo man Erdäpfel anpflanzt und die Landschaft tropisch wird. Doch auch hier beschreibt er einen großen Nachteil, ". . . der Mangel an hohen, verschiedenen und wunderschönen Bäumen wie in Peru und Nordchile. . . ", und ärgert sich über ". . . schwarzen Schlamm und auf den Bäumen Moose, Flechten und Farne und andere Parasitpflanzen." Darwin verbrachte auf seiner fünfjährigen Weltumseglung übrigens 1835 bloß ein Monat auf den Galapagos.
Die Inselgruppe wurde ursprünglich Islas Encantadas genannt, "verzauberte Inseln", weil man nicht glauben wollte, dass so weit draußen im Meer noch Land zu finden sei, und man, dank der verschiedenen Strömungen, die die Inseln umspülen, glaubte, sie würden ihre Lage verändern. Erst im 19. Jahrhundert benannte man die Inselgruppe nach den berühmten Riesenschildkröten.
Wechselvoll war die Geschichte der Galapagos, die ein spannendes Abenteuerbuch füllen könnte. Und die "G’schichterln", die man dazu erfand: Im 16. Jahrhundert berichtet ein Historiker von der Entdeckung der geheimnisvollen Inseln durch die Inkas 100 Jahre zuvor, deren Herrscher Tupac Inca dorthin gesegelt sein und Gold, schwarze Menschen, einen Messingsessel und die Überreste eines Pferdes zurückgebracht haben soll. Höchst unglaubwürdig, auf den Galapagos war außer ungewöhnlichen Tieren (die kommende Besucher teilweise ausrotteten), Kakteen, Büschen, Flechten und Gräsern nichts zu finden. Übrigens auch kaum Wasser, was spätere Besiedler oft wieder in ihre Heimat - wie Norwegen - zurücktrieb. Auch sie waren märchenhaften G’schichterln aufgesessen, die ihnen von paradiesischen Zuständen, fruchtbarem Gratisboden und herrlicher Flora berichteten, von zahmer Fauna gar nicht zu reden (was gestimmt hätte). So enttäuscht waren sie, dass einmal ein Kapitän, der ihnen das alles versprochen hatte, einfach über Bord gekippt wurde.
King Pat und andere
Walfänger steuerten gerne die Inseln an, um frische Früchte und kostbares Wasser aufzunehmen, was seltsame Gestalten, teilweise Schiffbrüchige, teilweise ausgesetzte Verbrecher, nützten, die Kartoffeln und Gemüse anpflanzten und dann um horrendes Geld an die Mannschaften verkauften. Einer dieser Abenteurer, ein Ire namens Patrick Watkins, der sich King Pat nannte, war besonders berüchtigt, weil er Matrosen mit Schnaps, den er eingetauscht hatte, betrunken machte, und sie so lange festhielt, bis ihr Schiff abgelegt hatte, um sie dann als Sklaven für sich arbeiten zu lassen - eine späte und etwas ungerechte Rache dafür, dass man ihn einst hier ausgesetzt hatte. Ihn erwähnt übrigens auch Herman Melville, der berühmte Autor von "Moby Dick", der ebenfalls auf den Galapagos zu Besuch war und in den Erzählungen "The Encantadas" darüber berichtet.
Piraten wie John Cook und William Cowley hatten hier ihren Stützpunkt, von dem aus sie spanische Schiffe, oft mit Gold beladen, aufbrachten (übrigens durchaus mit Unterstützung der Englischen Krone, die da fröhlich mitkassierte), und angeblich auch ihre Schätze versteckten, von denen bis heute erzählt und nach denen immer noch gesucht wird. Ein anderer berühmter "Robinson Crusoe", der sich "Johnson from London" nannte und mit zwanzig auf die Isla San Cristobal desertierte, wollte auch einen dieser Schätze gefunden, aber dann den Ort vergessen haben. Er lebte in Wreck Bay als selbsternannter Leuchtturmwächter und bekam immer wieder Besuch von goldgierigen Schiffsleuten, die von seinem angeblichen Fund gehört hatten. Manchmal ließ er sich auf Schiffen mitnehmen, versprach, den Fundort zu zeigen, beschrieb eine alte Kette, die vom Meer landeinwärts auf einen Lavahügel führen sollte, betrank sich und lallte dann etwas von "alt, schlechtes Gedächtnis, muss wohl eine andere Insel gewesen sein". Aber vielleicht wusste er doch mehr, als das Gebrabbel vermuten ließ, denn es wird erzählt, dass er bei Einkäufen stets mit Goldmünzen zahlte. Er starb in den 1920ern, betrauert von seiner Frau Anita, die, oft befragt, ebenfalls keine Antwort wusste - oder gab.
Geldgierige Glücksritter versuchten, dem Boden ein Vermögen abzuringen, meist mit Hilfe von Sklaven, die geschunden und willkürlich getötet wurden, oder mithilfe der erwähnten Exil-Verbrecher. Beides keine gute Idee: Einen gewissen Manuel J. Cobos, der durch Zuckerrohranbau reich wurde, töteten seine misshandelten Sklaven, ein Don José Valdizán, der mit seltenen Flechten vergeblich Geld zu machen hoffte, wurde von seiner Verbrechermannschaft umgebracht.
Eine andere, seltsame Geschichte, sogar in der Charles Darwin Research Station erwähnt, ist das Schicksal einer obskuren Baronesse Eloise Wehrborn de Wagner-Bousquet. Sie tauchte mit ihren drei Lovern auf der Insel Floreana auf, die bereits von einem gewissen Dr. Ritter und seiner ihn anbetenden (er selbst sah sich als Guru) Gefährtin und einer deutschen Auswandererfamilie, den Wittmers bewohnt war.
Die angebliche Nachfahrin von Wagner und Liszt wollte eine Art Wellness-Retreat für reiche Engländer gründen, aber außer einer Hütte für sich und ihre Unterhalter wurde nicht viel daraus. Die Todesrate auf der Insel war jedenfalls groß. Erst starb Dr. Ritter, dessen einsame Dorte nach Deutschland zurückkehrte, dann zwei der Lover. Und eines Tages entschwanden auch die Baroness und ihr Gigolo Philippson, angeblich mit Freunden, von denen niemand je gehört hatte, auf einer Yacht, von der niemand etwas gesehen hatte, nach Tahiti, wo sie nie ankamen. Jedenfalls hatten die Wittmers die Insel jetzt endlich für sich.
Die Inselalleinherrscherin Margret Wittmer wurde 96 und starb friedlich lächelnd in ihrer Casa Wittmer, in der sie gerne Gäste bewirtete, im März 2000.
US-Soldaten besetzten eine der Inseln als strategischen Stützpunkt zur Bewachung des Panama-Kanals, seit 1978 sind die Inseln UNESCO-Weltkulturerbe (übrigens das erste), Nationalpark und Marinereservat.
Glückliche Reisende
Heute ist die Haupteinnahmequelle der etwa 30.000 Bewohner der Tourismus, aber man versucht auch, die Landwirtschaft effizienter zu machen und nachhaltige Energien zu nutzen, denn die Besucherzahlen sind kontingentiert, um die Flora und Fauna über und unter Wasser nicht weiter zu schädigen. Die meisten Touristen schippern auf kleineren Kreuzfahrtschiffen, mit Glasbooten, Schnorchelausrüstungen und exzellenten Führern bestückt - oft Biologen, Zoologen oder Geologen, die ihren alten Job nicht mehr interessant genug fanden - von Insel zu Insel, beobachten die sorglose, oft einzigartige Tierwelt aus nächster Nähe, und tanzen, wenn sie besonderes Glück haben, mit Seehunddamen, beobachten Pelikane, Leguane oder Riesenschildkröten aus nächster Nähe, folgen schnorchelnd seetangbewachsenen Wasserschildkröten, Hammerhaien und Stachelrochen, oder üben Paarlauf mit Pinguinen.
Elisabeth Hewson, in Wien geboren, arbeitete lange Jahre als Werbetexterin, später als Chefredakteurin einer Konsumentenzeitung und Journalistin. Sie reist viel, lebt und arbeitet in Wien.