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Erkenntnisgewinn: null

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Es ist zweifellos sinnvoll, nicht über jeden verqueren Debattenbeitrag eine endlos lange inhaltliche Diskussion zu führen. Ein solches Eingehen auf Kritik bedeutet nämlich zwingend, den Kritiker und seine Botschaft ernst zu nehmen.

Wer das um jeden Preis vermeiden will, für den empfiehlt sich als naheliegende Alternative ostentatives Schweigen. Es soll ja durchaus Menschen geben, die solch demonstrative Nicht-Beachtung als härteste aller Strafen empfinden. Weil auf diese Weise dem eigenen Ego der empfindlichste Schlag versetzt wird. Ob solches Schweigen nun nobel ausfällt, also als Ausdruck intellektueller Überlegenheit gemeint ist, oder aber mit einer vor Wut geballten Faust in der Hosentasche erfolgt, ist vor allem eine Frage der eigenen charakterlichen Beschaffenheit und persönlichen Betroffenheit.

Israels Regierung hat sich im Fall von Günter Grass nicht für das Schweigen, sondern für die Gegenoffensive entschieden, indem sie den deutschen Nobelpreisträger nun zur "persona non grata" erklärt hat. Das ist ihr gutes Recht, mitunter gehört auf einen groben Klotz tatsächlich ein grober Keil. Ob die Entscheidung klug war, steht auf einem anderen Blatt. Vieles spricht dagegen.

Erschütternd ist aber etwas anderes, nämlich der gnadenlose Automatismus, mit dem die von Grass durchaus professionell inszenierte Erregung abgehandelt wird: Jemand betätigt einen Auslöser - und ab diesem Moment läuft die Sache auf Eskalations-Autopilot. Gottseidank ohnehin nur in diskursiver Hinsicht, aber doch. Entweder man ist für Grass und gegen Israel - oder eben umgekehrt. Pardon wird nicht mehr gewährt. Und die Medien, deren Grass sich meisterhaft bedient hat, befeuern die Debatte, statt dieser Grenzen des Vernünftigen zu setzen.

Wenn schon im erweiterten Feuilleton Debatten unter distinguierten Geistesmenschen mit so unversöhnlicher Härte derart unbeirrbar auf ihre rhetorische Eskalation zusteuern, wie leicht können dann erst ganz reale außenpolitische Auseinandersetzungen zwischen den Regierungen aus ganz gewöhnlichen Politikern unkontrollierbar aus dem Ruder laufen?

Die aktuelle feuilletonistische Aufarbeitung des Nahost-Konflikts darf getrost abgehakt werden, der Erkenntnisgewinn ist null. Es sei denn, man ist Medienwissenschafter.