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Erleichterung nach EU-Kompromiss

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Portugiesen wollen Reformvertrag rasch abschließen. | Neue Elemente für Funktion der EU. | Gusenbauer kritisiert Polen. | Brüssel. In der Europäischen Union herrscht weithin Erleichterung. Nach einer gut zweijährigen Phase der Orientierungslosigkeit gibt es einen klaren Auftrag für die Fertigstellung eines neuen Reformvertrags für die Union bis Jahresende. Von den Staats- und Regierungschefs gab es weit mehr Lob als Kritik am Ergebnis des EU-Gipfels in der vergangenen Woche. Der zügige Abschluss der im Juli startenden Regierungskonferenz sei eine seiner absoluten Prioritäten, erklärte der portugiesische Premier Jose Socrates. Er übernimmt den Vorsitz der Union am kommenden Sonntag.


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Die Reform bringt das neue Abstimmungssystem der doppelten Mehrheit, einen EU-Außenminister, der "Hoher Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik" heißt, und der als Vizepräsident die EU-Kommission auch die Mitgliedsstaaten vertreten soll. Ein für mindestens zweieinhalb Jahre amtierender EU-Ratspräsident soll für eine gleichmäßigere Schwerpunktsetzung in der gemeinsamen Politik sorgen, als die bisher halbjährlich wechselnden EU-Vorsitze. Für weite Bereiche der Polizei- und Justizkooperation fällt die Notwendigkeit von einstimmigen Entscheidungen der Mitgliedsstaaten und damit das Vetorecht. Dafür darf das Europäische Parlament mitentscheiden. Großbritannien hat die Möglichkeit, die gemeinsamen Beschlüsse nicht umzusetzen.

In-Kraft-Treten bis

zum Jahr 2009

Der neue Vertrag soll bis vor den nächsten Europawahlen 2009 in Kraft getreten sein. Bis dahin müssen ihn alle 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Einige Bestimmungen gelten allerdings zeitverzögert.

So wird die Zahl der EU-Kommissare erst ab 2014 auf zwei Drittel der Mitgliedsstaaten reduziert. Die Länder haben dann nach einem Rotationsprinzip nur mehr alle fünf bis zehn Jahre einen eigenen Vertreter in der EU-Behörde sitzen. Der Kommissionspräsident wird auf Vorschlag der Mitgliedsstaaten vom EU-Parlament gewählt. Dessen Abgeordnete werden ebenfalls reduziert.

Von guten Fortschritten und deutlichen Verbesserungen gegenüber dem derzeit gültigen Nizza-Vertrag sprach der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am gestrigen Montag. Allerdings habe das erzielte Ergebnis für Österreich auch einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Immerhin habe das Land den gescheiterten Verfassungsvertrag wie 17 weitere Mitgliedsstaaten bereits ratifiziert. So kritisierte der Kanzler, dass das neue Abstimmungsmodell der doppelten Mehrheit auf das vehemente Drängen Polens erst ab 2014 eingesetzt werde.

Besteht ein Land darauf, kann das Nizza-System sogar bis 2017 weiter gelten. Darüber hinaus müssen sich künftig mindestens fünf Staaten zusammentun, um eine EU-Entscheidung zu blockieren. Damit soll die bloße Einigkeit der vier großen EU-Länder Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien nicht für die Verhinderung einer Entscheidung ausreichen. Gelingt eine Blockade gegen die großen Länder knapp nicht, kann die Abstimmung ab 2017 immer noch verschoben werden, wenn 55 Prozent der so genannten Sperrminorität dagegen sind ("Ionnnina-Klausel").

Nur mit diesen weit reichenden Zugeständnissen an Polen und einer zeitweilig recht riskanten Verhandlungsführung konnte die deutsche Bundeskanzlerin und scheidende EU-Vorsitzende Angela Merkel ein Scheitern des Gipfeltreffens am Wochenende verhindern. Warschau hatte sich nach stundenlangen hitzigen Debatten von seiner Forderung nach der Stimmgewichtung nach dem Quadratwurzelsystem verabschiedet. Das schließlich gefundene Ergebnis sei sogar noch besser, befand der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski nach dem Treffen. Polen habe für weitere zehn Jahre eine wesentlich stärkere Blockademacht.

Berlin will besseres

Verhältnis zu Warschau

Deren Betonung am EU-Gipfel inklusive unpassender Argumente wie Verweis auf die Weltkriegstoten hat der polnischen Regierung nicht nur Sympathie gebracht. Deutschland werde sich um die Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses bemühen, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Gerade in schwierigen Zeiten, müsse man geduldig das Gespräch suchen.

"Für das Verhalten Polens gibt es in Europa wenig Verständnis", sagte hingegen Gusenbauer der "Frankfurter Rundschau". Man könne "nicht dauerhaft eine Haltung einnehmen, mit der man nur verlangt und nicht gibt. Diesen Lernprozess müssen unsere polnischen Freunde jetzt erst noch machen."