Ausgesprochen entspannt blicken die Spitzen der Europäischen Union den abschließenden Verhandlungen zur EU-Erweiterung entgegen. "Es muss schon sehr viel schief gehen, wenn wir jetzt unser Ziel einer erfolgreichen Einigung nicht mehr erreichen", so der dänische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Anders Fogh Rasmussen unmittelbar vor dem heutigen Treffen mit den Staats- und Regierungschefs aller Beitrittskandidaten. Sein Optimismus ist berechtigt, denn die EU-15 haben vergangene Woche mit der Klärung der Frage der Agrarfinanzierung einen entscheidenden Durchbruch erreicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs vergangenen Donnerstag und Freitag lagen allerorts die Nerven blank: "Schröder droht Gipfel über den Haufen zu werfen" titelte etwa die Brüsseler Zeitung "European Voice" am Vorabend des Treffens. Viele rechneten fest damit, dass die deutsch-französischen Spannung in der Frage der Agrarfinanzierung fürs erste unüberwindbar seien. Selbst EU-Ratspräsident Rasmussen schien für kurze Zeit den Mut zu verlieren und verkündete, die Erweiterung könne notfalls auch ohne einer Einigung zwischen Berlin und Paris über die Bühne gehen. Dann wieder kündigte er an, die Staats- und Regierungschefs notfalls "kasernieren" zu wollen, bis eine Einigung erreicht sei.
Ein derart drastisches Vorgehen war dann doch nicht notwendig: Überraschend traten Frankreichs Staatspräsident Chirac und Deutschlands Bundeskanzler Schröder noch vor der Eröffnung des Gipfels am Donnerstag mit der Kunde vor die Presse, man habe sich doch noch geeinigt.
Der Kompromiss sieht vor, dass die Agrarzahlungen bis 2006 unverändert bleiben sollen. Von 2007 bis 2013 solle der Gesamtbetrag für die erweiterte Union auf dem Niveau von 2006 gedeckelt werden. Zugleich werde den Kandidatenländern zugestanden, dass ihre Bauern ab 2004 schrittweise an das Niveau der Direktzahlungen in der EU heran geführt werden. An den Mienen Chiracs und Schröders war deutlich abzulesen, dass die Konsensfindung beiden Politikern nicht leicht gefallen war: Schröder musste seine Forderung einer Radikalreform der EU-Landwirtschaft hintanstellen, Chirac einer de-facto-Kürzung der Agrarzahlungen ab 2007 zustimmen. Denn die "Plafondierung" der Gelder ab diesem Jahr bedeutet, dass ein nahezu gleichbleibender Betrag auf mehr Staaten (EU-15 plus Neumitglieder) aufgeteilt werden muss.
Dass es überhaupt zu dieser Einigung kam, ist im positiven Ausgang des irischen Nizza-Referendums begründet: Nachdem dieses Problem als "letzter großer Stolperstein auf dem Weg zur Osterweiterung" aus dem Weg geräumt war, wollten beide Politiker keinesfalls als "Bremsklötze" der Erweiterung dastehen.
Mit dieser bereits im Vorfeld getroffenen Einigung gestalteten sich die eigentlichen Gipfel-Verhandlungen relativ problemlos: Das befürchtete Feilschen um Prozentpunkte blieb weitgehend aus. Die EU-Nettozahler Niederlande, Deutschland, Großbritannien und Schweden, die für drastische Einsparungen im Agrarhaushalt eintreten, erreichten, dass der Inflationsausgleich für die Agrarzahlungen ab 2007 auf 1 Prozent jährlich festgesetzt wurde. Die Mehrheit war zunächst für 1,5 Prozent eingetreten.
"Berechenbare Grundlage"
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel trat am Freitag nach einem ungewöhnlich frühen Ende der Verhandlungen sichtlich zufrieden vor die Medien: Mit der Einigung sei das Schicksal der österreichischen Landwirtschaft gut abgesichert. Er wollte sich zwar nicht auf die Behauptung festlegen lassen, dass Österreichs Bauern ab 2007 mit gleichbleibenden Direktzahlungen rechnen können. Der große Vorteil sei aber der, dass nun eine "klare, berechenbare Grundlage bis 2013" erreicht sei. Zur Transitfrage, die allerdings nicht Thema des Gipfels war, meinte Schüssel, er könne sich nicht vorstellen, dass Österreich letztlich die Erweiterung ratifiziere, wenn es in dieser Frage keine Lösung gebe. Das sei aber "das Gegenteil einer Veto-Drohung", nämlich vielmehr "die Einladung, den von Österreich auf den Tisch gelegten konstruktiven Lösungsvorschlag endlich zu akzeptieren."
Hochgradig verstimmt verließ übrigens Großbritanniens Premier Tony Blair den Brüsseler Gipfel: Er hatte scharfe Kritik von Seiten des französischen Premiers Jaques Chirac an dem so genannten "Briten-Rabatt" von 2 bis 3 Mrd. Euro jährlich einstecken müssen. Der 1984 ausverhandelte Nachlass zum EU-Budget "sei durch nichts mehr zu rechtfertigen", so Chirac. In London ist man derzeit unter keinen Umständen bereit, das Privileg aufzugeben.