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Ermittler fanden in Velika Krusa bereits 100 Leichen

Von Marielle Eudes

Politik

Velika Krusa · Ein verlorener Schuh auf dem Weg, ausgebrannte Autowracks, Ruinen, verstreute Gräber · Velika Krusa bietet einen trostlosen Anblick. Vor drei Monaten lebten rund 6.000 | Menschen in dem Dorf im Süden des Kosovo. Am 25. März kamen nach Angaben von Überlebenden die jugoslawischen Panzer. Um drei Uhr früh · wenige Stunden nach Beginn der NATO-Luftangriffe · kreisten sie | das Dorf ein und beschossen es mehrere Stunden. Was dann passierte, und vor allem, wer dafür die Verantwortung trägt, wollen nun rund 15 britische Ermittler des UNO-Kriegsverbrechertribunals | aufklären. Bisher zählten die Gerichtsmediziner und Kriminalexperten bereits 100 Leichen.


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Doch ihre Liste wächst unaufhaltsam: Drei Gräber im Garten eines weißen Hauses, zwei hinter der Garage, drei im Garten der Moschee...

"Wir untersuchen alles genau, um die Todesumstände festzustellen. Damit liefern wir Beweise für ein Gerichtsverfahren", erläutert John Bunn. Sein sachlicher Ton kontrastiert mit der gespenstischen

Szenerie im Hintergrund: die geschwärzte Ruine eines ehemaligen Backsteinhauses, in dem 50 Menschen verbrannt wurden. Streunende Hunde machen sich über Skelette her. "Auch wenn wir nicht

herausfinden, wer dies verbrochen hat, wollen wir versuchen, die Befehlsstränge nachzuvollziehen", sagt Bunn.

Aus den Berichten der wenigen Rückkehrer, die das Massaker überlebten, ergibt sich ein erstes Bild der Ereignisse des 25. März: "Nach dem Dauerbeschuß durch die jugoslawischen Panzer traf gegen 16

Uhr Verstärkung durch Infanterie und Paramilitärs ein. Die Bewohner aus dem unteren Teil des Dorfes konnten fliehen. Ein Teil versammelte sich auf dem kleinen Platz oberhalb der Moschee, andere

flohen wie meine Familie und ich in die Hügel", schildert Resat Zeqiri. Dann seien die Serben in das Dorf eingedrungen und hätten die verbliebenen Menschen in einem Hof zusammengetrieben.

Die Männer zwischen 16 und 60 Jahren wurden demnach von den übrigen getrennt. Acht mußten sich in eine Reihe stellen und wurden sofort exekutiert. Acht frische Gräber in einem kleinen Garten hinter

dem Anwesen scheinen die Angaben zu untermauern. 16 weitere Männer wurden in einem anderen Gebäude im hinteren Teil des Hofes erschossen, ihre Leichen teilweise verbrannt. Ein Mann wurde nur

verletzt, konnte sich unter den Leichen der übrigen verstecken und schließlich entkommen.

In Gruppen von 50 bis 150 wurden Resat Zeqiri zufolge die übrigen Männer fortgebracht. Rund 50 von ihnen wurden später in einem Haus im unteren Teil des Dorfes exekutiert und verbrannt. "Die Alten

wurden zu Fuß auf den Weg nach Albanien geschickt, die Frauen in die Moschee gesperrt", schildert Rexhep Hoti, der nach Kukes in Albanien floh. Später wurden auch die Frauen auf Lastwagen an die

albanische Grenze gefahren. In der Wand der Moschee klafft ein Einschußloch. Verstreute Decken, halbgepackte Koffer, verlassene Wiegen und halb verbrannte Ausweispapiere zeugen von einem überstürzten

Aufbruch.

Safit Krasniqi war damals unter jenen, die ins zwei Kilometer entfernte Negovc flohen. Er kehrte kurz nach dem Massaker mit einer Kamera zurück und filmte die Leichen. Anhand der Aufnahmen wurden die

Toten identifiziert. Safit Krasniqi nennt etwa 20 Namen. Er weint. Erst im Schutz der Nacht kehrten am 25. März jene zurück, die in die Hügel geflohen waren. In Gruppen von drei, vier Mann begruben

sie die Toten. "Ein Dutzend liegt auf dem kleinen Hügel", deutet Resat Zeqiri mit einer Handbewegung an.

Ähnliche Szenen wie in Velika Krusa sollen sich am 25. März auch in den benachbarten Dörfern Celina, Mala-Krusa, Bela-Crka und Zrza abgespielt haben.