Zwischen den Energie- und den Nahrungsmittelpreisen besteht ein Zusammenhang.
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Der seit mehr als einem Jahr andauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die ausreichende Versorgung mit Ernährungsgütern, landwirtschaftlichen Rohstoffen und Energie in den Mittelpunkt für das politische Handeln gerückt. Ein Blick in einschlägige Statistiken zeigt, dass die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln in Österreich und in der EU weitgehend gesichert ist, aber der Schutz der Lebensgrundlagen (Boden, Luft, Wasser) und vor allem die Bekämpfung der Hungersnot in vielen Regionen der Welt, vor allem in Afrika, ein vordringliches geopolitisches Anliegen ist.
Die Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, dass der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft vierteljährlich einen "Bericht zur nationalen Lebensmittelversorgung" vorzulegen hat. Im Dezember 2022 präsentierte Ressortchef Norbert Totschnig eine erste Analyse, der zu entnehmen ist, dass derzeit die Versorgungssicherheit nicht gefährdet ist. Das ist vor allem den rund 155.000 Bäuerinnen und Bauern sowie der Ernährungswirtschaft, dem Lebensmittelhandel, den Verarbeitungsbetrieben und nicht zuletzt auch den Genossenschaften zu verdanken, die vor allem im ländlichen Raum eine große Bedeutung für die Bereitstellung wichtiger Betriebsmittel (Dünger, Landtechnik, Pflanzenschutz, Energie, Baustoffe) haben.
Rund 200 Betriebe der Lebensmittelindustrie und des Gewerbes erwirtschafteten im Jahr 2021 mit 26.000 Beschäftigten einen Produktionswert von 9,4 Milliarden Euro. Im Lebensmittelgewerbe sind 37.000 Menschen beschäftigt und erzielten einen Produktionswert von 7,1 Milliarden Euro. Drei große Lebensmittelketten - Hofer, Spar und Rewe - haben einen Marktanteil von 85 Prozent und tragen die Hauptverantwortung für die Versorgung mit Ernährungsgütern.
Fairer Ausgleich innerhalb der Wertschöpfungskette
Der faire Ausgleich innerhalb der Wertschöpfungskette ist der Agrar- und Ernährungspolitik ein großes Anliegen, zumal die Bauern im Kräftedreieck zwischen Produktion, Verarbeitung und Handel das schwächste Glied sind. Innerhalb der heimischen Ernährungswirtschaft sind 76 Molkereien, 846 Unternehmen in der Fleischwirtschaft, 93 Mühlen und rund 1.500 Bäckereibetriebe für die Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produktion verantwortlich, im Zuckerbereich ausschließlich die Agrana als bedeutendes internationales Industrieunternehmen.
Mehr als vier Fünftel der landwirtschaftlichen Erzeugung werden von der Ernährungswirtschaft zu hochwertigen Lebensmitteln weiterverarbeitet. Der neue "Situationsbericht 2022/2023" des Deutschen Bauernverbandes enthält wichtige Fakten über die Bedeutung der Ernährungsindustrie in Europa. Frankreich rangiert unter den größten Produzentenländern mit einem Gesamtumsatz von 212,2 Milliarden Euro deutlich vor Deutschland mit 185,3 Milliarden Euro und Italien mit 143,8 Milliarden Euro. Diese beiden Länder sind für österreichische Agrar- und Ernährungsexporte die wichtigsten Absatzregionen.
Um die Größenordnungen in der Ernährungswirtschaft zu verdeutlichen, ist ein Vergleich besonders eindrucksvoll: Das größte deutsche Lebensmittelhandelsunternehmen, die Edeka-Gruppe, erwirtschaftete im Jahr 2021 mit 25,2 Milliarden Euro Umsatz fast so viel wie die gesamte Ernährungsindustrie in Österreich mit 25,7 Milliarden Euro. Die größte Molkerei der Welt, das französische Unternehmen Lactalis, weist für 2021 einen Umsatz von 22,6 Milliarden Euro aus, fünfmal so viel wie Deutschland führender Molkereibetrieb, Deutsches Milchkontor. Die dominierenden österreichischen Molkereien, Bergland und NÖM, weisen zusammen mit 4,2 Milliarden Euro nur ein Viertel des Umsatzes des größten deutschen Betriebs auf.
Globale Herausforderungen für die Landwirtschaft
Die globalen Herausforderungen für die Land- und Ernährungswirtschaft werden durch die steigende Weltbevölkerung, den Klimawandel sowie die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energieversorgung und der Vordringlichkeit des Schutzes der Lebensgrundlagen und der Umweltressourcen bestimmt. Zwischen den Energie- und den Nahrungsmittelpreisen besteht ein Zusammenhang. Von den insgesamt rund 4,7 Milliarden Hektar an globaler Landfläche sind etwa 1,6 Milliarden Hektar Ackerland, davon werden 5 Prozent (85 Millionen Hektar) für den Anbau von Energiepflanzen (Getreide, Zuckerrohr, Zuckerrüben) verwendet.
Die Konkurrenz zwischen Teller und Tank im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bioenergie beziehungsweise nachwachsender Rohstoffe ist immer wieder Anlass für politische Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Entwicklung des Hungers in der Welt. Analysen der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die auch im Rahmen der diesjährigen Wintertagung des Ökosozialen Forums bei der Auftaktveranstaltung in Wien zur Sprache kamen, gehen davon aus, dass die Zahl der hungernden beziehungsweise der unterernährten Menschen weltweit mehr als 800 Millionen beträgt. Zur Verbesserung dieser dramatischen Situation ist eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft in den betroffenen Regionen ebenso notwendig wie ein fairer Handel mit Agrarprodukten. Die Weiterentwicklung einer Land- und Forstwirtschaft, die den Rahmenbedingungen und klimatischen Herausforderungen der jeweiligen Regionen entspricht, ist ebenso vordringlich wie die Reduktion massiver Nachernteverluste.
Die Agrar- und Ernährungswirtschaft der EU hat eine erhebliche Verantwortung und verfügt mit 77 Einzelabkommen über das größte Handelsnetz der Welt. Der Kern dieser Abkommen besteht in der Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen, sollte aber nicht zu Lasten des Aufbaus einer standortgerechten Agrar- und Ernährungswirtschaft in den Entwicklungsländern gehen. Bis 2050 ist zur Entschärfung der weltweiten Ernährungssituation eine erhebliche Produktionssteigerung auf den schrumpfenden Ackerflächen bis zu 60 Prozent gemäß Berechnungen der FAO notwendig. Weltweit schrumpft die Ackerfläche pro Kopf. Standen 1970 noch 3.700 Quadratmeter zur Verfügung, sind es aktuell 2.000 Quadratmeter und könnten 2050 nur noch 1.700 Quadratmeter sein. Dazu kommt, dass auch der "Wasserstress" zunimmt. Fast 4 Milliarden Menschen - also die Hälfte der Weltbevölkerung - sind laut UN-Wasserbericht von Knappheit betroffen, fast 2,2 Milliarden haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Umstrittenes Mercosur-Abkommen
Nur 2,5 Prozent des Wassers auf der Erde (35 Millionen Kubikkilometer) sind Süßwasser. Zusammen mit diesen dramatischen Fakten und der zunehmenden Weltbevölkerung sind auch die steigenden Emissionen für das Pflanzenwachstum, insbesondere in den Industrieländern, schädlich. Klimaforscher plädieren für ein neues Agrarmodell, das einerseits die Reduzierung des Fleischverbrauchs und anderseits die Züchtung von Pflanzen vorsieht, die mit den sich ändernden Umweltbedingungen besser zurechtkommen.
Besondere Sprengkraft im Kampf um die Verbesserung der weltweiten Ernährungssituation, Arten- und Bodenschutz sowie der Notwendigkeit, die Produktivität zu steigern, haben unterschiedliche wirtschaftliche Interessen für Handelsverträge. Nicht nur in Österreich ist vor allem das Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay heftig umstritten. Während die Industriellenvereinigung darauf verweist, dass der Handel mit diesen Staaten schon jetzt 32.000 Arbeitsplätze in Österreich sichert, führen bäuerliche Interessensvertretungen und Umweltorganisationen - nicht nur hierzulande - die negativen Auswirkungen für die bäuerliche Landwirtschaft an: Fleisch, Zucker und auch Ethanol würden zu Dumpingpreisen den europäischen Markt überschwemmen und auch Maßnahmen gegen den Klimawandel gefährden.
Das sind für Agrarminister Norbert Totschnig wie auch für die französische Präsidentin der EU-Bauernverbände, Christine Lambert, entscheidende Argumente. Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist jedenfalls die ablehnende Haltung verankert. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft möchte aber das Abkommen mit Unterstützung der EU-Kommission und Deutschlands nach jahrelangen Verhandlungen verabschieden. Die angespannte globale Ernährungssituation mit einer um 250.000 Menschen pro Tag steigenden Weltbevölkerung (insgesamt bereits 8,02 Milliarden) sowie der fortschreitende Klimawandel sind die großen geopolitischen Herausforderungen, zumal ein zunehmender Strom von Klimaflüchtlingen für sozialen Sprengstoff sorgt. Bedenklich ist auch die Tatsache, dass jährlich rund 2 Billionen Euro für das Militär ausgegeben werden, aber nur 170 Milliarden Euro für die Entwicklungshilfe.