)
Genf · Kurz vor Beginn des neuen Jahrtausends mußten die Vereinten Nationen (UNO) eine nüchterne Bilanz für das Jahr 1999 ziehen. Eingeständnisse der Mitschuld und schwindender Einfluss | prägten die Weltorganisation. Der Traum einer "Weltregierung" hat sich als Illusion erwiesen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan musste im vergangenen Jahr offiziell die schwere Mitschuld der UNO am Völkermord in Ruanda vor fünf Jahren eingestehen. Der Weltsicherheitsrat hatte 1994 Berichte
von UNO-Beauftragten in Ruanda vor geplanten Massakern unter der Tutsi-Bevölkerung zur Kenntnis genommen, ohne zu handeln. Zu diesem Schluss kam eine von Annan eingesetzte Untersuchungskommission.
Wenige Wochen zuvor war der UNO bereits in einem anderen Bericht schweres Versagen auf einem Kriegsschauplatz vorgeworfen worden. Eine interne Ermittlungskommission kritisierte, dass Blauhelm-
Soldaten während des Bosnien-Kriegs bei der Eroberung der UNO-Schutzzone Srebrenica und dem anschließenden Massaker an der örtlichen Bevölkerung durch serbische Truppen im Sommer 1995 untätig
geblieben seien.
Beide Berichte dürften im New Yorker UNO-Hauptquartier die Debatte über die Verantwortung der UNO für die Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erneut anfachen. Annan forderte Ende
November in einem Bericht vor dem UNO-Sicherheitsrat, dass sich die Vereinten Nationen für eine Verstärkung der Maßnahmen zur weltweiten Frühvermeidung von Konflikten einsetzen.
1999 stand die UNO bei wichtigen Konflikten erneut abseits. Die großen Krisen wurden zwar wie gehabt bei unzähligen UNO-Foren eifrig diskutiert, doch der UNO fehlte es insbesondere an politischem
Einfluss. Am deutlichsten sichtbar wurde dies beim Kosovo-Konflikt. Als am 24. März NATO-Jagdbomber den Bombenhagel auf Jugoslawien eröffneten, fehlte das Mandat des Rates, der nach der UNO-
Charta von 1945 allein das "Gewaltmonopol" bei internationalen Krisen haben sollte. Die politische Rolle der Weltorganisation wurde einmal mehr untergraben.
Zum Testfall für militärische Angriffsoperationen ohne klares UNO-Mandat hatte bereits vor einem Jahr die irakische Hauptstadt gedient. Die US-Bombenflugzeuge machten mit ihren Angriffswellen auf
Bagdad unmissverständlich klar, dass Washington als einzig verbleibende Supermacht keine Rücksicht mehr auf die anderen UNO-Mitgliedsstaaten nehmen will.
Sackgasse
Das politische Patt im UNO-Sicherheitsrat hat sich seit dem Untergang der Sowjetunion in eine Sackgasse umgewandelt. Die fünf ständigen Ratsmitglieder · USA, Großbritannien, Frankreich, China und
Russland · können sich nur selten auf eine gemeinsame Position einigen. Die fünf haben ein Veto-Recht, mit dem sie jede Entscheidung zunichte machen können.
Der Weltsicherheitsrat dient den fünf ständigen Mitgliedern zunehmend als Instrument der diplomatischen Erpressung. Die Russen drohen derzeit mit dem Veto-Recht, falls der Krieg in Tschetschenien zu
einem UNO-Thema werden sollte. Moskau argumentiert, man habe sich während den NATO-Angriffen auf Serbien im Sommer stillgehalten.
Auch bei den verbliebenen Aufgaben der UNO haben sich die Defizite im Vorjahr akzentuiert. Im Kosovo etwa fehlen der UNO für den Wiederaufbau finanzielle Mittel und das Konzept der UNO-
Verwaltung für ein multiethnisches Kosovo ist gescheitert.
Auch in Osttimor muss sich die UNO trotz einigen Erfolgen beim Wiederaufbau Kritik gefallen lassen. Die gewalttätigen Ereignisse nach dem Unabhängigkeitsreferendum im August waren für Kenner
voraussehbar. Die Weltorganisation musste der Ermordung Tausender von Menschen lange tatenlos zusehen, weil sich die maßgeblichen Mitglieder nicht auf ein Eingreifen verständigen konnten oder
wollten.