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Moskau/Tiflis - Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit ist in dem Kaukasus-Staat Georgien die Euphorie verflogen. Am 9. April 1991 hatten die Georgier ihrem Parlamentschef Swiad Gamsachurdia zugejubelt, der die Loslösung von der Sowjetunion erklärt hatte. Zehn Jahre danach steht das Land nicht nur vor wirtschaftlichen Problemen.
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Alle Abgeordneten in Tiflis unterzeichneten vor zehn Jahren die Unabhängigkeitsdeklaration. Auch der georgische Philosoph Merab Mamardaschwili rechtfertigte die Unabhängigkeit: "Nur so können die Georgier verstehen, wer sie wirklich sind." Doch das Volk hinter dem Hauptkamm des Kaukasus-Gebirges, seit 1992 regiert von Eduard Schewardnadse, hat seine Probleme nicht lösen können.
Der Machtbereich der Regierung in Tiflis ist in zehn Jahren immer kleiner geworden. In dem nationalen Überschwang unter Gamsachurdia lösten die Georgier, selbst ein Volk aus vielen Stämmen, die Autonomiegebiete der anderen Völker auf. Deshalb spalteten sich die Teilrepubliken Südossetien und Abchasien in Kriegen ab.
Die Teilrepublik Adscharien an der Grenze zur Türkei wird vom Präsidenten Aslan Abaschidse als Privatfürstentum verwaltet, der Einfluss von Tiflis ist gering. Durch den Tschetschenien-Krieg verloren die georgischen Behörden die Kontrolle über das Pankisi-Tal, in dem mehrere tausend tschetschenischer Flüchtlinge leben und die Rebellen einen Rückzugsraum haben.
Innenpolitisch geriet das Land im ersten Jahr der Unabhängigkeit in eine Krise, die das hohe Ansehen der Georgier als Volk der Dichter, Maler oder Filmemacher Lügen strafte. Eine Militärjunta schoss Gamsachurdia im Jänner 1992 aus dem Präsidentenpalast in Tiflis heraus. Als Nutznießer des Umsturzes kehrte der frühere sowjetische Außenminister Schewardnadse, einer der Väter der deutschen Einheit, in seine Heimat zurück. Zuletzt wurde er im April 2000 mit 78,83 Prozent der Stimmen als Präsident bestätigt.
Außenpolitisch will Schewardnadse sein Land an den Westen annähern, gar in die NATO führen. Doch die Nähe zum großen Nachbarn Russland zwingt Tiflis zu Zugeständnissen. Moskau darf Militärstützpunkte in Georgien unterhalten. Der Westen und gerade Deutschland haben Schewardnadse nicht vergessen. Mit 2,5 Milliarden US-Dollar (2,77 Mrd. Euro/38,1 Mrd. S), die Georgien als Auslandskredite erhielt, hätte man das Land möglicherweise in eine Art zweite Schweiz umbauen können. Stattdessen verschwand das Geld in dunklen Kanälen.
Wirtschaftlich gab es für Georgien nur Mitte der 1990er Jahre eine kurze Zeit der Stabilität. Zur Zeit wächst die Ökonomie um magere zwei Prozent jährlich. Angestellte in Staatsbetrieben verdienen 60 bis 80 Lari monatlich (30,7 Euro/422 S bis 40,9 Euro/563 S). Die Georgier hoffen darauf, dass die Ölpipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zum türkischen Hafen Ceyhan über ihr Territorium gebaut wird und das "Schwarze Gold" aus dem Kaspischen Meer auch sie reich machen wird. Denn ansonsten ist die atemberaubend schöne Berglandschaft der einzige Reichtum des Landes.