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Erodierende Gewissheiten, einfach ignoriert

Von Walter Hämmerle

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Was tun, wenn rundherum die Welt der alten Sicherheiten ins Wanken gerät? Am besten Augen zu und durch, denkt sich Österreichs Politik.


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Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise sind etliche Gewissheiten im politischen Koordinatensystem ins Wanken geraten. Was wenig verwundert, schließlich kann man schon ins Grübeln über deren Aussagekraft geraten, wenn Banker plötzlich die Verstaatlichung von Banken fordern.

Rund um Österreich herum haben die Ursachen wie auch die Folgen der Krise zu einer durchaus lebhaften Debatte über einige weltanschauliche Grundannahmen der jüngeren Vergangenheit geführt, etwa über die Rolle des Marktes, den Wert starker Staatlichkeit, die Ordnungskraft von Nationen oder den grundlegenden Unterschied zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Wenn der britische "Economist", gemeinhin das Sprachrohr eines staatsskeptischen, angelsächsischen Liberalismus, nun den skandinavischen Wirtschafts- und Wohlfahrtsstaat zum neuen "role model" für den Westen erklärt oder der deutsche Publizist und "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher über den Irrsinn des Finanzkapitalismus und darüber, wie dieser eine liberale Gesellschaftsordnung unterminiert, schreibt, dann haben sich wohl tatsächlich einige Kontinentalplatten im Denken auf beiden Seiten des Atlantiks verschoben.

Das Nachdenken über diese Veränderungen hat natürlich längst auch die reale Politik erreicht, obwohl es naturgemäß um einiges leichter ist, über den Gang der Dinge pointiert zu räsonieren als konkrete programmatische Schlussfolgerungen daraus für das politische Handeln zu ziehen.

Für Österreich sollte man vermuten, das anstehende Superwahljahr mit vier Landtagswahlen im Frühjahr und der Nationalratswahl im Herbst böte eigentlich ein geeignetes Exerzierfeld zur Präsentation möglicher Antworten auf die neuen Fragen. Denkfehler.

Die hiesigen Sozialdemokraten predigen zwar seit Jahrzehnten die Steuer- und Sozialstaatsquoten von Schweden, Finnen und Co. als politisches Heilsmantra vor sich her, doch wollen sie von den beinharten Transparenz- und Effizienzmechanismen nichts wissen, die erst dafür sorgen, dass die skandinavische Variante des Wohlfahrtsstaates auch in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft weltweit ganz weit oben rangiert. Die laufende Werbekampagne der Wiener SPÖ unter dem Slogan "Die SPÖ schützt" - wahlweise das Wiener Wasser oder vor Privatisierung - illustriert das Dilemma ganz wunderbar.

Und der Volkspartei wiederum will und will es nicht gelingen, den Staat und noch viel mehr seine Gesellschaft losgelöst von ihren bündischen Interessensstrukturen neu zu denken. Um wenn man doch einmal innovativ sein will, verfällt man auf die Idee, verpflichtende Haartests bei Drogenverdacht zu verordnen. Damit sichert man sich zwar für einige Tage aufgeregte Schlagzeilen, sonst aber auch schon nichts.

Niemand verlangt von den angegrauten Großparteien vergangener Tage druckreife Antworten auf die von der Krise aufgeworfenen Fragen für das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Aber ein bisschen Nachdenken, wenn es leicht geht gerne öffentlich, sollte man schon erwarten können.