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Das erste Arbeitstreffen zwischen Ehud Barak und Yasser Arafat Dienstag abend hat für gewisse Ernüchterung gesorgt. Die Palästinenser sprachen am Tag danach sogar von einer Krise. Mit
Vorschußlorbeeren geradezu überhäuft, hatte der neue israelische Premier versucht, den Palästinenser-Präsidenten zu taktischen Schritten bei der Umsetzung noch ausstehender Vereinbarungen zu bewegen.
Doch die Palästinenser wollen eigentlich nicht. Sie erbaten zwar zwei Wochen Bedenkzeit, doch aus allen Reaktionen wird klar, daß sie weit mehr an Entgegenkommen von Barak erwartet hatten, als er zu
leisten bereit war.
Baraks Problem liegt auf der Hand. Das im Oktober von seinem Vorgänger Benjamin Netanyahu unter massiver US-Vermittlung ausgehandelte Zwischenabkommen von Wye Plantation sieht unter anderem einen
Truppenrückzug aus 13,1 Prozent des besetzten Westjordanlandes vor. Doch Netanyahu vollzog den Abzug nur aus 2,1 Prozent des Gebietes. Dann krachte seine Regierung, vor allem aufgrund des Widerstands
rechtsnationalistischer Koalitionspartner gegen jedes territoriale Entgegenkommen.
Auf Barak warten also noch zwei Abzugsschritte. Der letzte beließe ein gutes Dutzend der bei den Palästinensern verhaßten jüdischen Siedlungen umgeben von Palästinensergebiet. Da Israelis in solch
territorialen Kategorien denken und sich oft ein sicheres Leben nur mit schwerbewaffneten Soldaten in der Nähe vorstellen können, könnte der erwartete Aufschrei der umzingelten Siedler Barak Probleme
schaffen. Es gäbe neue Demonstrationen gegen seine Friedenspolitik und möglicherweise einen Solidarisierungseffekt in der Bevölkerung mit der gerade bei den Wahlen geschlagenen Rechten. All dies
hielte nur auf. Deshalb will Barak Arafat zu taktischen Schachzügen bewegen. Er will möglicherweise Israelis wie Palästinensern ein komplettes Friedenspaket vorlegen, um Widerstand gegen Teilschritte
zu umgehen.
Doch auch Arafat steckt in Nöten. Er hat in vertraulichen Mitteilungen und Lage-Analysen in den letzten Wochen mehrfach darauf hingewiesen, daß er nun "liefern muß", will er die Palästinenser nicht
vollends enttäuschen. Die Erwartungen an ihn sind hoch, das ist bei Gesprächen mit Palästinensern in den Selbstverwaltungsstädten immer wieder zu spüren. Nach den drei Jahren Eiszeit unter Netanyahu
wollen die Palästinenser nicht länger warten. Sie wollen ihre Gefangenen frei und Israels Truppen abziehen sehen, wollen Ergebnisse auf dem Weg zum eigenen Staat. Sie wollen verhandeln, aber zügig
und ergebnisorientiert.
Israelische Medien spekulierten, Arafat werde sich auf keine taktischen Schachzüge einlassen und kategorisch die buchstabengetreue Umsetzung der Vereinbarungen von Wye Plantation verlangen. Doch
vielleicht irren sich die Medien auch. Es kann gut sein, daß Arafat die Überlegungen Baraks besser versteht, als mancher Israeli sich das vorstellen kann. Denn in Sachen Taktik ist Arafat nur schwer
das Wasser zu reichen.
Palästinenser wiesen am Mittwoch darauf hin, daß Arafats Vertrauen in Barak noch keinen Schaden genommen habe. Das könnte auch ein Hinweis darauf sein, daß Dienstag abend vielleicht der finale
"Superpoker" um den Nahost-Frieden begonnen hat · der Eröffnungszug im entscheidenden Schachspiel, das das Ende des Konflikts bewirken soll.