Zum Hauptinhalt springen

Errare humanum est

Von Waldemar Hummer

Gastkommentare

Während meiner Studienzeit an der Wiener Universität in den 1960er Jahren war Rudolf Welser ein metikulöser Assistent am Institut für Zivilrecht. Seine Ernsthaftigkeit ließ nicht ansatzweise vermuten, dass aus ihm in der Folge nicht nur ein wohlbestallter Ordinarius für Zivilrecht, sondern auch ein erfolgreicher Verfasser einer Reihe von satirischen Pamphleten über die Eigenheiten der juristischen Profession hervorgehen würde.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Neben einer Reihe von Publikationen wie "Käsegeruch ist erfahrungsgemäß unangenehm" oder "Eier können nicht gefangen werden" verfasste er auch die Satire "Böses über die Juristen" (2005), worin er sich über die Skurrilitäten dieses Berufsstandes entsprechend ausließ. Seine kleinen und großen Bosheiten wurden von Fachkollegen gerne gelesen. So erging es auch mir.

Bei der Lektüre der erwähnten Publikation wurde ich allerdings jäh aus meinem Lesegenuss gerissen, stolperte ich doch dort über einen haarsträubenden europarechtlichen Fehler, den ich Kollegen Welser eigentlich nicht zugetraut hätte. Er breitet dort nämlich "seine ständige Angst" vor etwas aus, "was noch schlimmer wäre als alles Juristendeutsch, nämlich, dass in unsere Gesetze gar das EU-Deutsch Einzug hält" (Seite 144). Verächtlich kritisiert er in einer Fußnote das "von den Grundwerten der Union getragene Einheitsdeutsch, das der Verwirklichung der europäischen Einheit dient" (sic). Als Beispiele dafür führt er die bundesdeutschen Begriffe Konfitüre statt Marmelade, Schlagsahne (sprich "Schlachsahne") statt Schlagobers und andere mehr an, die seines Erachtens offensichtlich dabei sind, das entsprechende österreichische Vokabular zu verdrängen.

Wenngleich auch ich in letzter Zeit immer stärker unter dem deutschen Idiom zu leiden beginne und daher durchaus Sympathie für die Welserschen Bedenken hege, sind sie europarechtlich doch völlig unbegründet.

Rudolf Welser scheint entgangen zu sein, dass gerade das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass es Österreich bei seinen Beitrittsverhandlungen 1994 gelungen ist, Austriazismen zu bewahren. Gemäß dem Protokoll Nr. 10 über die Verwendung spezifischer österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der EU (Amtsblatt 1994, C 241/370) werden 22 Austriazismen aufgelistet, die mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden dürfen wie die in Deutschland verwendeten Ausdrücke und die in der deutschen Sprachfassung neuer Rechtsakte in der EU den deutschen Ausdrücken in geeigneter Form hinzugefügt werden müssen.

Darunter befinden sich neben dem angeführten Paar Obers/Sahne auch noch solche wie Faschiertes/Hackfleisch, Topfen/Quark und andere. Es wäre zu wünschen, dass zumindest renommierte Juristen ihren negativen Pawlowschen Reflex der EU gegenüber manchmal auf seine Berechtigung hin überprüfen würden.

Waldemar Hummer ist Professor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck.