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Erregungsweltmeister

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Erregungsweltmeister: Nichts beschreibt besser (und vornehmer) den Gemütszustand, in dem sich Österreichs veröffentlichte Öffentlichkeit befindet. Vom Kanzler abwärts protestiert mit Ausnahme der Grünen die gesamte Republik gegen die Aussagen, die der türkische Botschafter in Wien in einem Interview mit der "Presse" tätigte.


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Der Zeitung ist ein publizistischer Clou gelungen, ein Thema wurde gesetzt und alle sind aufgesprungen. Praktischer Nebeneffekt für Politik und Bürger: So lästige Kleinigkeiten wie Budgetsanierung und Sparpakete verschwinden für kurze Zeit aus den Schlagzeilen. Ein bisschen Ablenkung hat noch keinem geschadet.

An den konkreten Aussagen des streitbaren Botschafters kann es weniger gelegen haben: Die hat er zum Teil fast wortident, wenngleich im Ton ungleich höflicher gegenüber seinem Gastland und dessen Regierung, bereits Ende August in einem Interview mit der Wiener Zeitung formuliert. Ohne Protestaufschrei, schließlich war damals ja noch Wahlkampf.

Für Österreich wäre es allerdings langsam an der Zeit, vom rhetorischen Erregungszustand herabzusteigen. Vom Reden allein ist nämlich noch nie etwas weitergegangen. Sämtliche Probleme im Integrationsbereich sind hinlänglich bekannt, die Gegenrezepte detto, tatsächlich wird auch bereits an vielen Baustellen eifrig gearbeitet, aber bis konkrete Ergebnisse vorzeigbar sind, dauert es eben.

Darüber hinaus stünde Österreich ein bisschen mehr Gelassenheit und Souveränität gut zu Gesicht. Die Integrationsleistungen (nicht die Integrationspolitik!) dieses Landes seit 1945 können sich wahrlich sehen lassen. Im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl erbringt das Land in diesem Bereich eine wirkliche Spitzenleistung.

Zu kritisieren gibt es dabei weiß Gott noch immer genug, wenngleich nicht vielleicht zuallererst und in einem solchen Ton vom Botschafter eines Landes, das mit seinen religiösen wie ethnischen Minderheiten seit Jahrzehnten in einem blutigen Konflikt liegt und darüber hinaus Auswanderer für die eigenen außenpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren bestrebt ist. Daran ändern auch Hinweise auf veränderte wirtschaftliche Kräftegleichgewichte nicht wirklich etwas.

Türkischer Botschafter sorgt für Empörung