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Ersatzteillager Schwein?

Von Erich Griessler und Alexander Lang

Gastkommentare
Erich Griessler arbeitet am IHS unter anderem zu sozialen ethischen Aspekten an der Schnittstelle von Gesellschaft und Technologie und wie damit umgegangen werden kann.
© IHS

Die Xenotransplantation ist nicht nur ein medizinischer Durchbruch, sondern wirft viele Fragen auf, die gesellschaftlich zu diskutieren wären.


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Anfang des Jahres berichteten Medien über die erste erfolgreiche Verpflanzung eines Schweineherzens in einen Menschen. Der Patient stand wegen seines schlechten Gesundheitszustands nicht auf der regulären Spenderliste, weshalb der Eingriff per Notfallgenehmigung durchgeführt werden durfte. In den Medien wurde die Operation in den USA als "Durchbruch" oder "Meilenstein" gefeiert.

Die Meldung kam allerdings nicht überraschend. Seit den späten 1990ern wird die Xenotransplantation - die Verpflanzung von Zellen, Gewebe oder Organen über Artgrenzen hinweg - immer wieder angekündigt. Sie wird als eine mögliche Lösung zur Behebung des Mangels an menschlichen Spenderorganen genannt. Alternativen dazu sind Maßnahmen zur Erhöhung des Organspendenaufkommens, organisatorische Verbesserungen im Management der Organverteilung oder in Zukunft vielleicht künstliche oder gezüchtete Organe.

Der nunmehrigen ersten Verpflanzung gingen jahrzehntelange, von Erfolgen und Misserfolgen geprägte internationale Forschungen voraus, in denen etwa geeignete Schweine gezüchtet wurden. Denn die tierischen Organe müssen zum menschlichen Organismus passen, damit sie vom Immunsystem nicht als fremd erkannt und abgestoßen werden und auch keine Gefahr wegen tierischer Krankheitserreger darstellen. Dafür arbeiteten Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen wie etwa Transplantationschirurgie, Genetik, Virologie oder Tierzucht intensiv zusammen.

Zur Herstellung der Kompatibilität von Tierorganen wird mit molekulargenetischen Verfahren das Genom des Spendertiers verändert. Das ist heute mittels neuer gentechnischer Methoden ("Genschere") leichter möglich. Beim jetzt genutzten Tier wurden zehn solche Veränderungen vorgenommen. Um die Infektionsgefahr durch Krankheitserreger einzudämmen, müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden. Die an sich sehr sozialen Tiere müssen in strengen Isolationsbedingungen gezüchtet und gehalten werden. Darüber hinaus basiert die Xenotransplantation auf Tierversuchen, bei denen nichtmenschlichen Primaten Schweineorgane eingesetzt werden.

Eine Abwägungsfrage

Sie wirft damit zunächst eine Reihe tierethischer Fragen auf. Davon abgesehen sollte bei Xenotransplantationen die Frage nach der prinzipiellen Überschreitung von Artgrenzen diskutiert werden. Auch das Risiko von Epidemien und Pandemien ist relevant. Vor einigen Jahren scheinbar weit hergeholt, ist das Thema in Zeiten von Covid-19 hochaktuell. Es stellt sich die Abwägungsfrage zwischen dem Individualwohl und dem Risiko für viele.

Es ist also nicht nur ein medizinischer Durchbruch, sondern wirft viele Fragen auf, die gesellschaftlich diskutiert werden müssten. Biomedizinische Entwicklungen sind, wie alle wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, nicht naturwüchsig und alternativlos, sondern immer eingebettet in die Gesellschaft sowie Abwägungs- und Entscheidungsprozesse über Forschungspolitik, Forschungsförderung und Regulierung von Technologien.

Bereits um das Jahr 2000 wurde ein unmittelbar bevorstehender Durchbruch bei der Xenotransplantation prophezeit. Ein EU-gefördertes Forschungsteam unter der Leitung des Instituts für Höhere Studien (IHS) analysierte in den 2010ern, wie verschiedene Staaten und internationale Organisationen mit dieser Herausforderung umgegangen sind, ob und welche Entscheidung ein Land traf, wer dabei eingebunden war, wie die Entscheidung vorbereitet wurde und welche Themen dazu diskutiert wurden. Es zeigte sich, dass Länder Anfang des Jahrtausends sehr unterschiedliche Positionen, von abwartend über ablehnend bis befürwortend, zur Xenotransplantation einnahmen.

Breite Debatten fehlen

In den Beratungen zur Entscheidungsfindung waren vor allem naturwissenschaftliche Experten und Beamte, jedoch wenige Politiker eingebunden. Experten für Ethik und soziale Aspekte waren in den Gremien ebenfalls kaum vertreten. Die Auswahlverfahren der Mitglieder für Beratungsgremien waren in vielen Fällen unsystematisch und nicht transparent - eine Situation, die frappant an heute erinnert. Ethische Fragen, wie die oben genannten, wurden zwar immer wieder kurz als sehr wichtig erwähnt, tatsächlich aber kaum diskutiert. Trotz der mantraartigen Wiederholung durch Wissenschaft und Politik, eine breite gesellschaftliche Diskussion unter Einbindung der Öffentlichkeit sei nötig, hat diese de facto nur wenig stattgefunden.

Österreichische Entscheidungsträger entschieden in den späten 1990ern, abzuwarten, welche regulatorischen Schritte andere Länder setzen würden. Abwarten, bis externer Druck zum Handeln zwingt, und Entscheidungen im engsten administrativen-politischen Kreis sind zentrale Kennzeichen der österreichischen Politik in vielen heiklen bioethischen Fragestellungen. Dies zeigen die jahrzehntelange Geschichte der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes und jüngst das Sterbeverfügungsgesetz. Nach jahrelanger Lähmung war häufig der Verfassungsgerichtshof eine treibende Kraft für notwendige Gesetzesänderungen; eine transparente vorangehende Diskussion unter aktiver Einbindung der Öffentlichkeit fand in keinem dieser Fälle statt.

Wie bei vielen wissenschaftlich-technischen Entwicklungen mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen stellen sich auch bei der Xenotransplantation folgende Fragen: Haben wir als Gesellschaft die Möglichkeit, über wissenschaftlich-technische Entwicklung zu entscheiden? Wann wird die Diskussion geführt? Wie können wir das organisieren? Was wird bei der Entscheidung diskutiert und was nicht? Wer diskutiert mit und bereitet die Entscheidung vor?

Es gibt seit vielen Jahren zahlreiche Beispiele und Modelle - etwa die derzeit in vielen Ländern durchgeführten Klimabürgerräte - für eine solche breite öffentliche Debatte. Es ist Zeit, nicht nur vermeintliche Wissenschaftsfeindlichkeit der Österreicher zu beklagen, sondern mit der Bevölkerung in einen offenen Dialog auf Augenhöhe zu treten und über Ziele und Erfolge, aber auch Probleme von Wissenschaft zu sprechen.