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"Erst die Strafe, dann das Urteil"

Von Daniel Haufler

Politik

Der US-Investigativjournalist im Interview.


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US-Präsident Barack Obama hat die Kriege im Irak und Afghanistan für beendet erklärt. Die Kampftruppen aus dem Irak sind abgezogen, in Afghanistan geschieht das bis Ende 2014. Gleichzeitig setzt der Präsident, der wegen umfangreicher Spähprogramme international in den Schlagzeilen ist, verstärkt auf Drohnenangriffe und Operationen von Spezialeinheiten. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem US-Investigativjournalisten Jeremy Scahill, der in seinem neuen Buch "Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen" fragt, ob es angesichts zahlreicher Drohnenangriffe und geheimer Tötungsaktionen durch militärische Sondereinheiten überhaupt noch möglich ist, die USA als Rechtsstaat zu bezeichnen.

"Wiener Zeitung": Wie würden Sie die Denkweise beschreiben, die seit dem 11. September 2001 die US-Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt?Jeremy Scahill: Es gibt eine kontinuierliche Eskalation der verdeckten Operationen. Sie beruht auf der Idee des amerikanischen Exzeptionalismus, also der Idee, dass die USA eine Ausnahmestellung in der Welt einnehmen. Obama teilt diese Idee. Wenn er redet, hört sich das nicht immer so an. Wenn man aber sieht, mit welchen Beratern und Mitarbeitern er sich umgibt, ist klar: Er ist ein Empire-Präsident. Er glaubt, dass sich die USA im Kampf gegen den Terror zum Sieg bomben können. Wenn eine Gruppe irgendwo auf der Welt Amerika gefährlich erscheint, muss sie mit einem tödlichen Schlag rechnen. Denn die USA akzeptieren internationales Recht nur, wenn es ihnen passt. Sonst gelten für sie andere Regeln als für den Rest der Welt. Damit setzt Obama die Politik der Republikaner fort, verkauft sie einfach nur besser.

Es geht im Grunde darum, dass die USA sich nicht mehr bloß gegen Terroristen verteidigen, sondern sie präventiv bekämpfen, also umbringen?

Ja. Obama versucht, gezielte Tötungen als akzeptable Maßnahme der US-Sicherheitspolitik zu legitimieren.

In den USA scheint das kaum jemand zu beunruhigen. Die gezielten Tötungen lösen keine Entrüstung oder auch nur Streit aus. Wie kann das sein?

Die meisten Amerikaner finden diese Politik richtig. Sie denken: Immerhin kommen auf diese Weise keine amerikanischen Soldaten mehr ums Leben - und es macht uns sicherer.

Einen Anflug einer Debatte gab es immerhin anlässlich der Tötung des muslimischen Hasspredigers und US-Bürgers Anwar al-Awlaki. Die Regierung sah sich vergangenes Jahr sogar dazu genötigt, ein Rechtsgutachten (White Paper) zu erstellen, in dem die Rechtmäßigkeit der gezielten Tötung eines US-Bürgers durch einen Drohnenangriff begründet wird.

Wissen Sie, warum das nötig war? Weil John Brennan, der damalige Sicherheitsberater des Präsidenten, CIA-Chef werden sollte. Er war aber schon zu George Bushs Zeiten Vize-Chef der CIA und hat eine Weile das "National Counterterrorism Center" geleitet. Daher war er in die illegalen Praktiken der Vorgängerregierung verwickelt. Hätte man nicht dieses White Paper lanciert, wäre es bei der Anhörung im Senat für den Posten des CIA-Chefs vor allem um seine Arbeit in der Bush-Zeit gegangen. So konnte er über seine Tätigkeit für Obama und deren legale Rechtfertigung sprechen.

Das war für die Regierung aber ein riskantes Manöver, denn bis dahin hatte sie sich offiziell nie zu gezielten Tötungen oder Drohnenangriffen geäußert, geschweige denn bekannt. Erst mit dem White Paper und einer Rede in der National Defense University kurz darauf stellte sich Obama einer öffentlichen Debatte. Dabei müsste er als Verfassungsjurist absolut gegen die Tötung eigener Staatsbürger auftreten. Warum tut er es nicht?

Nun, ich denke, dass Obama stets mit sich selbst darüber debattiert. Auf der einen Seite ist er der Präsident, der das Vorgehen verteidigt, auf der anderen der Bürger und Jurist, der genau weiß, dass diese Tötungen nicht vertretbar sind. Er versucht dennoch, sich selbst und die Öffentlichkeit von der Rechtmäßigkeit zu überzeugen.

Wie soll das gehen, wenn ein Opfer noch nicht mal ein Terrorist gewesen ist, wie im Fall Al-Awlakis?

Das ist eine gute Frage, zumal die US-Regierung noch weiter geht. Sie bombardiert bei Drohnenangriffen ja sogar Menschen, von denen sie gar nicht wissen kann, ob sie Terroristen sind. Sie vermutet es nur, weil sie bestimmte Verhaltensweisen beobachtet hat. Im Fall Al-Awlakis stellt sich zudem die Frage, warum gegen ihn nie eine Anklage wegen terroristischer Akte erhoben worden ist. Das Militär wusste genau, wo er in Somalia war, hat ihn einen Monat verfolgt. Warum hat es ihn nicht gefangen genommen und vor ein Gericht gestellt? Obama hat hier als Ankläger, Richter, Jury und Henker eines US-Bürgers fungiert. Es ist fast wie bei der Königin in Alice im Wunderland, die sagt: erst die Strafe, dann das Urteil. So gehen Imperatoren vor.

Gleichzeitig präsentiert Obama außen- und sicherheitspolitisch eine Strategie der Zurückhaltung, wie man in Libyen und Syrien beobachten konnte. Wie passt das zusammen? Wählt Obama diese Strategie, weil die Amerikaner kriegsmüde sind?In Syrien sind die USA durchaus aktiv - genauso wie Russland, der Iran und die Hisbollah. Das ist ein Stellvertreterkrieg. Die CIA bildet Rebellen aus und unterstützt sie mit Waffen. In jedem Fall aber gibt es ein verändertes politisches Klima. Bei den Konservativen gewinnen die Libertären immer mehr Einfluss, die eine isolationistische Außenpolitik wollen. Und die Linken sind ohnehin gegen den Krieg. Dazwischen gibt es die Elite von Republikanern und Demokraten, die Amerika als Empire begreifen. Aus dieser Lage erklärt sich vielleicht Obamas Präferenz für verdeckte Operationen. Er hält das für eine Art "sauberen Krieg". Doch eigentlich ist es ein "kalter Krieg gegen den Terror".

Neu scheint, dass das Weiße Haus unmittelbar entscheidet, wer aus Gründen der nationalen Sicherheit getötet werden soll. Handeln Obama und seine Berater so, weil sie fest davon überzeugt sind, einer gerechten Sache zu dienen?

Sie glauben zumindest, dass sie einen gerechten Krieg führen. Sie gehen ihrer eigenen Propaganda auf den Leim. Angeblich kommen bei den Drohnenangriffen auch so gut wie keine Zivilisten um. Doch das ist kompletter Unfug. Die Regierung erklärt einfach jeden Toten zum Terroristen. Erst wenn ein Journalist recherchiert, dass bei einem Angriff auch Zivilisten getötet wurden, gibt sie es zu.

Aber welcher Journalist wagt sich schon in diese Kriegszonen? Sie wissen, wie gefährlich das ist.

Und es ist sehr aufwendig. Es dauert manchmal Monate, wenn nicht Jahre, um einen einzigen Anschlag zu untersuchen, die Angehörigen der Opfer zu befragen und Beweismaterial zu sichern. Zudem passieren die Angriffe meist in total abgelegenen Gegenden, in die kein Journalist hinfährt. Deshalb kommt die US-Regierung mit ihren manipulativen Darstellungen in der Regel durch.

Die Obama-Regierung geht vehement gegen Whistleblower vor. Hat das auch Einfluss auf Ihre Arbeit?

Absolut. In den USA wird derzeit auch ein Krieg gegen den Journalismus geführt. Ich werde regelmäßig am Flughafen festgenommen und ausgefragt, wann ich wieder in das Land einreise. Ich habe Quellen, die sehr besorgt sind, dass sie inhaftiert werden könnten, wenn sie mit mir sprechen. Die Geheimdienste forschen meine Metadaten aus, um herauszufinden, mit wem ich spreche. Das Weiße Haus sendet eine klare Botschaft: Wir wollen, dass Du nur offizielle Informationen veröffentlichst. So etwa zur Tötung Osama bin Ladens. Doch die offizielle Darstellung war vollkommen falsch: Es wurde kein gefährlicher Kämpfer getötet, der sich bis zum letzten Augenblick mit der Waffe in der Hand verteidigt hat, sondern ein wehrloser alter Mann in seinem Schlafzimmer. Ja, er ist ein Massenmörder, den ich vor Gericht sehen wollte, aber eine Spezialeinheit hat ihn einfach hingerichtet.

Wurden Sie auch abgehört oder Ihre Daten durchsucht?

Ja, mein Computer wurde gehackt. Ich hatte sogar eine Nachricht auf dem Rechner. Einmal rief mich ein Geheimdienstmann wegen einer meiner Geschichten an, bevor ich sie veröffentlicht hatte, und wollte, dass ich sie zurückziehe. Wie er von der Recherche erfahren hat, ist bis heute unklar. Doch solche Erfahrungen machen alle investigativen Journalisten. Mit einer gewissen Beobachtung, wenn nicht sogar Überwachung, muss man jedenfalls rechnen. Es ist daher nötig, Informationen möglichst gut zu schützen, nur verschlüsselt zu kommunizieren und vor allem die Informanten zu schützen. All das hat unsere Arbeit vollkommen verändert.

Jeremy Scahill: Der US-Amerikaner ist investigativer Reporter und schreibt für das linke Magazin "The Nation" vor allem über Sicherheitspolitik. Bekannt wurde er 2007 mit seinem Buch "Blackwater. Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt", das die Praktiken privater Sicherheitsfirmen in Krisengebieten enthüllte.