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Erst flirten, dann berühren

Von Clemens Neuhold

Politik
Das Ohr als Tabuzone? Ja, wenn man sich durch Berührung sexuell bedrängt fühlt.
© gestellte Szene/WZ

Der "Po-Grapsch"-Paragraf ist Gesetz: Wie weit geht die Ausweitung der Verbotszone? Und wo verläuft die Grenze zwischen Flirt und "Dirt"?


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Wien. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) reagiert gereizt auf die Frage, wo Flirten endet und sexuelle Belästigung beginnt: "Es geht um unerwünschte Berührungen und nicht um eine Berührung beim Tanzen oder Flirten, wenn beide einander willentlich näher kommen."

Und dennoch sorgt die gesetzliche Ausweitung der sexuellen Belästigungszone über Brüste, Penis und Vagina hinaus für Verunsicherung in der Männerwelt. Nicht unwesentlich dazu beigetragen haben Politiker wie ÖVP-Mandatar Marcus Franz (früher Team Stronach). Der hatte sich im Boulevard als Po-Grapscher geoutet und seine Frau als freiwilliges "Opfer" seiner Aufrisstechnik präsentiert. Da "seine Frau klargestellt hat, dass sie sich nicht belästigt fühlte", fragt sich Heinisch-Hosek, was dieser Fall mit dem Gesetz zu tun haben soll.

Welche Körperteile sind aber nun im Detail gemeint, wenn künftig nicht mehr nur Busen, Penis oder Vagina zu Tabuzonen für Grapscher werden?

Im Prinzip alle, aber ein paar besonders. In den Erläuterungen zum Gesetz heißt es: Künftig sind auch Körperstellen erfasst, "die nicht zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehören. Klärender Zusatz: "Diese Körperstellen umfassen jedenfalls das Gesäß und die Oberschenkel."

Der Grund, warum die Debatte in erster Linie um den Po kreist, liegt an einem Fall in Graz aus dem Jahr 2012: Eine Radfahrerin wurde am Po begrapscht. Sie schmiert dem Täter eine, er schlägt ihr darauf hin auf den Fahrradhelm. Der Täter bleibt abgesehen von einer richterlichen Ermahnung unbehelligt. Im Extremfall hätte er sie sogar für ihre treffsichere Antwort auf die sexuelle Belästigung anzeigen können.

Doch es geht eben nicht nur um den Po. Umfasst sind, wie es in den Erläuterungen weiter heißt, "jedenfalls" Gesäß und Oberschenkel, aber nicht nur. "Es gibt auch Fetischisten", sagt Heinisch-Hosek. Das heißt: Auch Knie, Knöchel, Füße oder Ohren können nach dieser Definition unter die Verbotszonen fallen. "Jede intensive und entwürdigende sexuelle Belästigung wird strafbar", fassen die SPÖ-Frauen, denen Heinisch-Hosek vorsitzt, die Novelle zusammen.

Entscheidend ist, ob das Opfer sich sexuell bedrängt und in der "Würde verletzt fühlt". Die Würde ist nach internationalen Rechtsstandards dann verletzt, wenn das Verhalten ein "einschüchterndes, feindliches, erniedrigendes, entwürdigendes oder beleidigendes Umfeld schafft".

Auf die Dauer der Berührung kommt es dabei nicht zwangsläufig an. Flüchtige und oberflächliche Berührungen sind weiterhin nicht strafbar; kurze "intensive, präzise und zielsichere" Grapscher laut Erläuterungen aber sehr wohl.

All diese Änderungen betreffen die Freizeit. Gegen Belästigung am Arbeitsplatz gibt es bereits scharfe Gesetze. Gegen anzügliche Kommentare ("Ich mag deinen Busen") kann bereits jetzt zivil- und arbeitsrechtlich geklagt werden. Für solche verbale Entgleisungen droht aber auch künftig nicht das Gefängnis.

Wie realistisch sind Verurteilungen nach dem neuen "Po-Grapsch-Paragrafen, wenn Zeugen fehlen? Einzelne Strafrechtsexperten halten das Gesetz für zu schwammig und kaum exekutierbar. Heinisch-Hosek widerspricht: "Wenn Opfer die Sicherheit haben, dass etwas passiert, werden sie auch klagen", ist sie überzeugt, das habe schon das Anti-Stalking-Gesetz bewiesen. Heinisch-Hosek: "Das ist kein totes Recht." Was die Zeugen betrifft, gebe es etliche Paragrafen im Strafrecht, die ohne Zeugen zu Verurteilungen führten. In der Praxis werden die Richter aber wohl vorsichtig urteilen, denn sie müssen ausschließen, dass Frauen das Gesetz missbrauchen.

Und wie sieht es nun mit der Umarmung aus, wenn noch gar nicht klar ist, ob der Flirt aufgeht? "Wenn ich schon geflirtet habe und sie das erwidert, ist das natürlich kein Problem", erklärte die Strafrechtsexpertin Katharina Beclin bereits in der "Wiener Zeitung". Also erst flirten, dann berühren. Der gesunde Menschenverstand ist weiterhin die beste Leitlinie. Wer zukünftig zur Franz-Methode greift, kann sich nicht nur ein blaues Auge holen, sondern auch eine Anzeige.