Wahl des Kabinetts Merkel III ist für Dienstag im Bundestag angesetzt.
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Berlin. "Wenn die Post so richtig abgehen soll", lautet der Werbeslogan für jene Maschinen, die 40.000 Briefe pro Stunde auffräsen können. Sie wurden von der deutschen SPD für dieses Wochenende angemietet, schließlich werden die Genossen derzeit mit Post überschüttet. Mehr als 300.000 der insgesamt 475.000 Mitglieder haben vom Angebot Gebrauch gemacht, über den zwischen CDU/CSU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag ihr Urteil zu fällen. Nach dem grünen Licht durch die Gremien aller drei Parteien ist ein Nein der SPD-Basis die letzte Möglichkeit, Schwarz-Rot zu verhindern.
Die Spannung hält sich jedoch in Grenzen, allseits wird Zustimmung erwartet - und auch öffentlich betont. So überrascht es wenig, dass laut "ZDF-Politbarometer" acht von zehn Deutschen von der Zustimmung der SPD-Mitglieder ausgehen. Anhänger der Sozialdemokraten sind noch optimistischer, ganze 92 Prozent von ihnen erwarten ein Ja der Basis zu Schwarz-Rot. Wermutstropfen: Mehr als zehn Prozent der Befragten retournierten einen ungültigen Stimmzettel.
Doch das kann Sigmar Gabriels Laune nicht trüben. Der Mitgliederentscheid sei "ein Riesenerfolg, den viele Beobachter der SPD nicht zugetraut hätten", sagt der sozialdemokratische Parteivorsitzende. Der 54-Jährige hat den Modus als Verlegenheitslösung ersonnen, um der bei der Basis so ungeliebten großen Koalition Legitimität zu verschaffen. Bang tourten in den vergangenen Wochen hochrangige SPD-Politiker durch das ganze Land und warben für ein Ja. Schönheitsfehler hierbei: Lediglich 20 Prozent der Genossen engagieren sich in Landes- oder Bezirksverbänden, die überwältigende Mehrheit zahlt brav ihren Mitgliedsbeitrag ein - und ist sonst passiv.
Von der Leyen ringt um Amt, Superminister Gabriel
Laut wird daher auch Parteichef Gabriel Samstagabend nicht jubeln, wenn das Ergebnis des Votums bekanntgegeben wird. Zeit zum Verschnaufen bleibt ihm ohnehin nicht, schließlich steht die Ressortaufteilung noch immer nicht. Sechs Ministerposten erhält die SPD, fünf gehen an die CDU und drei an die CSU. Gabriel übernimmt das Wirtschaftsministerium, das zusätzlich auch die Energieagenden erhält, er managt somit die Energiewende. Gemäß der koalitionären Logik geht bei einem SPD-geführten Wirtschaftsressort das Finanzministerium an den Partner, CDU-Amtsinhaber Wolfgang Schäuble ist dort gesetzt - genauso wie Arbeitsministerin Andrea Nahles, Familienministerin Manuela Schwesig (beide SPD) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). Ursula von der Leyen, von den Bürgern hochgeschätzt, in ihrer CDU nach diversen Alleingängen aber alles andere als geliebt, will weiter nicht ins Gesundheitsressort wechseln. Nun wird spekuliert, ob sie einem aufgewerteten Wissenschaftsministerium vorsteht. Von der Leyens Wunsch, ins Auswärtige Amt zu wechseln, steht Frank-Walter Steinmeier im Weg, der zum zweiten Mal nach 2005 bis 2009 das Ressort leitet.
Die Zeit drängt jedenfalls. Für Sonntagmittag ist bereits eine Pressekonferenz einberufen, in der die Ministerliste präsentiert werden soll. Tags darauf wollen die Spitzen von CDU, CSU und SPD ihre endgültige Unterschrift unter den Koalitionsvertrag setzen. Und bereits am Dienstag soll das Kabinett Merkel III im Bundestag gewählt und anschließend von Präsident Joachim Gauck ernannt werden. Sogleich beginnt die Arbeit in der sogenannten "GroKo" - die Abkürzung für große Koalition wurde zum Wort des Jahres 2013 in Deutschland gekürt. Vor der SPD liegen vier Jahre als Juniorpartnerin. Die Parteispitze konnte die Basis zwar überzeugen, dass Mitregieren besser ist, als außen vor zu bleiben. Gabriel kennt aber deren Befürchtung, wie schon nach der "GroKo" 2005 bis 2009 bei den darauf folgenden Wahlen abgestraft zu werden; er war damals Umweltminister. Der Parteivorsitzende wollte von Anfang an eine sichtbare linke Handschrift im Koalitionsabkommen auch als Beruhigungspille für seine Mitglieder, daher auch die harte Position beim Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der 2015 eingeführt wird.
Wie viel Luft zum Atmen lässt Merkel der SPD?
Prinzipiell schaffen es kleine Koalitionspartner nur sehr selten an die Spitze - siehe ÖVP. In Deutschland kommt die Dominanz Angela Merkels erschwerend hinzu. Die Kanzlerin hat in den vergangenen Jahren vom Aufgeben der Wehrpflicht bis zum Ausstieg aus der Atomkraft konservative Kernthemen ausgehöhlt - und die Stimmen der moderaten Mitte eingesammelt. Wie viel Luft zum Atmen Merkel der SPD diesmal als Koalitionspartner lässt, wird eine der zentralen Fragen der neuen Regierung.
Die SPD ist heute eine 25-Prozent-Partei mit Kanzleranspruch. Sie vertraut weniger auf Wiedergewinnung der alten Stimmenstärke, sondern auf neue Partner. Nachdem sie die Linkspartei in den vergangenen Jahren nicht marginalisieren konnte, streben die Sozialdemokraten "R2G" nach dem Urnengang 2017 an, also ein Bündnis mit der Linkspartei und den Grünen. Bis dahin wird aber die Öko-Partei wohl auch eine neue Option haben: die lange stotternde Öffnung hin zur Union.