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"Erst nach dem Anschlag wurden wir bemerkt"

Von Momcilo Nikolic

Politik

Vor 20 Jahren starben bei einem Attentat auf eine Roma-Siedlung vier Menschen. Die Situation der Roma hat sich gebessert.


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Oberwart. "Roma zurück nach Indien". So stand es auf einer Blechtafel, die damals vier junge Männer anlockte und in den Tod riss. Josef Simon (40), Peter Sarközi (27), die Brüder Karl (22) und Erwin Horvath (18). Das sind die Namen jener vier Opfer, die in der Nacht von 4. Februar auf den 5. Februar 1995 beim Rohrbombenattentat nahe der Oberwarter Roma-Siedlung ermordet wurden. Der Täter Franz Fuchs wurde 1999 verhaftet und beging ein Jahr später Suizid.

Es passierte in der Nacht, als die vier Männer die besagte Tafel, die mit einem Rohr auf einem Kunststoffsockel montiert war, entfernen wollten und der mit 150 Gramm Nitroglycerin gefüllte Sprengsatz hochging. Manuela Horvath war damals zehn Jahre alt gewesen, als sie ihre beiden Cousins und einen Teil ihr unbeschwerten Kindheit verloren hatte: "Die Bombe ist ja direkt neben unseren Häusern detoniert. Niemand von uns hätte damals gedacht, dass wir Opfer solchen Hasses werden. Seitdem sind wir aufmerksamer geworden. Auch heute noch fühlen wir uns nicht so sicher; die Angst dominiert zwar nicht, aber so ein Gefühl ist schon noch da. Zumindest bei der Generation, die das Attentat miterlebt hat."

"Zigeuner schädigen"

Mit dem Anschlag von 1995 hatte die Mehrheitsbevölkerung begonnen, sich mit den Roma auseinanderzusetzen. "Man hat gewusst, dass es uns gibt, aber nie wirklich wahrgenommen.", sagt Horvath.

Dabei sind bereits im 15. Jahrhundert die ersten Roma aus "Zentralungarn" in das heutige Burgenland eingewandert. Die nächsten drei Jahrhunderte und bis zur Herrschaft Maria Theresias waren sie schwierigen und ständig wechselnden Lebenssituationen ausgesetzt gewesen. Wechselnde Lehensherren und variierende Machtverhältnisse sorgten regelmäßig dafür, dass Roma für "vogelfrei" erklärt wurden - damals übliche Schutzbriefe verloren auf einen Schlag bei einem neuen Herrscher ihre Gültigkeit. Und die Roma mussten fliehen. Dies relativiert den Mythos ‚Roma als buntes Wandervolk‘, da es oft Zwänge und Feindseligkeit waren, die Roma in ihrer Geschichte weiterziehen ließen. Es waren Beschlüsse wie jener des Reichstages von Augsburg 1551, wonach "keiner, der einen Zigeuner schädigte, eine Sünde beging" oder Verordnungen zur Vertreibung und Ausrottung von "Zigeunern", die Diskriminierung und Gewalt zur Folge hatten. Damaligen Richtern, die sich weigerten diesen Entscheidungen zu folgen, drohten 40 Schläge als Strafe.

Versteckter Rassismus

In Oberwart selbst gibt es seit 1989 den ersten Roma-Verein. "Jener wurde gegründet, da Jugendliche nicht in eine Diskothek hineingelassen und weil Kinder ohne Begründung in die Sonderschulen abgeschoben wurden.", erzählt Horvath. Heutzutage leben von den damals mehr als 100 Roma noch knapp 50 in der Siedlung. Während einige in die Städte zum Arbeiten pendeln, sind andere ganz weggezogen. "Es gibt nach wie vor Rassismus, aber nicht mehr so häufig wie früher. Auch ist er nicht mehr so öffentlich. Ich fürchte aber, dass wir Roma es immer mit Rassismus zu tun haben werden."

Auch Mario Baranyai, Berater des "Vereins Roma Oberwart", erkennt seit dem Attentat eine Gesellschaftsveränderung. "Roma leben seit Jahrhunderten hier. Vorher hat man sie nicht akzeptiert oder etwas über sie gewusst. Erst nach dem Anschlag haben uns viele bemerkt." Die Öffentlichkeitsarbeit, die auf die Morde folgte, hat die Berührungsängste, auf beiden Seiten, genommen. Baranyai erzählt, dass die Hälfte seiner Freunde "Nicht-Roma" sind. "Es gibt nach wie vor Diskriminierung, aber seit dem Volksgruppengesetz von 1993, in dem die Roma als sechste Volksgruppe Österreichs anerkannt wurden, hat es sich gebessert. Besonders nach dem Anschlag hat sich die Stadtgemeinde sehr für eine Aufklärungsarbeit in Schulen eingesetzt. Das Gesetz hat uns Roma eine Stimme gegeben."

Auch Bürgermeister Georg Rosner (ÖVP) sieht eine gute Entwicklung in Oberwart. "Es gibt bei uns mittlerweile vier Roma-Vereine und schulischen Beistand. Oberwart steht für Vielfalt und ein gutes und friedliches Miteinander. Es gibt leider noch immer ein paar Ewiggestrige, das kann man wohl nicht verhindern. Aber in der Siedlung sinkt die Einwohnerzahl. Das bedeutet, dass viele Roma in die Stadt ziehen und besser integriert sind. Früher war dies anders. Heute jedoch sehe ich es so: Es gibt keine Roma, Ungarn oder Kroaten. Alle sind Oberwarter."

Keine Sonderschule mehr

Aktuell leben noch um die 1300 Roma im Bezirk Oberwart, 2000 in ganz Burgenland. Deren Bildungssituation hat sich im Vergleich zu früher tatsächlich verbessert, sagt Baranyai: "Die schlechte Ökonomie ist ein generelles Problem, viele Roma und Nicht-Roma müssen nach Wien zum Arbeiten fahren. Aber insgesamt haben sich die Bildungschancen verbessert. Früher gingen Roma-Kinder für ein bis zwei Tage in die Volksschule und wurden ohne Erklärung in die Sonderschule geschickt. Jetzt passiert das nicht mehr. Wir sind in der Gesellschaft fest verankert." Den Rassismus, der noch vorherrscht, bezeichnet Baranyai als "modern". "Chefs, die ihren Kleinbetrieben keine Roma einstellen wollen, reden hinter vorgehaltener Hand und haben simple Ausreden parat. Mit unserer Arbeit im Verein bessert sich das langsam; man kann sich heutzutage auch dagegen wehren."

Zaklina Radosavljevic, Bildungswissenschafterin und Obfrau des Romano Centro in Wien, hat im Rahmen einer Bildungsstudie Oberwarter Roma kennen gelernt. "Seit dem Attentat hat eine Sensibilisierung mit dem Thema "Roma" stattgefunden. Spricht man heutzutage mit Leuten über den Anschlag, wissen einige Bescheid, auch wenn sonst wenig über Roma bekannt ist." Was Baranyai als modernen Rassismus bezeichnet, findet sich auch in den Betrachtungen von Radosavljevic in gewisser Weise wieder. "Früher hat man nach dem Namen zuordnen können, wer ein Roma ist, und dass er in der Siedlung lebt. Heutzutage passiert das nicht mehr so, allerdings verstecken sich Roma hinter anderen Ausländern." Für manche gilt, es ist besser ein "normaler" Ausländer zu sein, als von den Roma abzustammen.

Ein Generationenproblem

Die Joblage unter den Roma in Oberwart weist, laut Baranyai, zwar eine höhere Arbeitslosenquote auf, ist aber auch eine Generationsfrage. "Von den 20- bis 35-Jährigen hat jeder Zweite eine gute Ausbildung und ist fest angestellt. Das Problem ist die ältere Generation, jene, die in Sonderschulen gesteckt wurde, und die Nachkriegskinder. Der Trend geht ins Positive: Es gibt bessere Ausbildung, Roma sind auch in leitenden und akademischen Berufen mit Verantwortung."