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Erst Novelle, dann Enquete

Von Simon Rosner

Politik

Regierung will kleine Adaptierungen, später soll umfassende Reform diskutiert werden. Die Opposition ist erzürnt.


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Wien. Aus dem kategorischen Nein der SPÖ zu einer Neufassung des Versammlungsgesetzes, wie es Innenminister Wolfgang Sobotka im Februar gefordert hatte, ist bereits in der Vorwoche ein vorsichtiges "Ja, aber" geworden. Man könne darüber reden, hieß es, aber nur in Form einer parlamentarischen Enquete. Und die wird nach Ostern auch kommen.

Allerdings soll nun bereits Ende März das derzeitige Gesetz noch einmal novelliert werden, und zwar per Initiativantrag und damit ohne Begutachtungsfrist. Darauf hat sich die Koalition am Dienstag verständigt. "Das ist demokratiepolitisch bedenklich und fahrlässig", sagt Eva Glawischnig, Klubchefin der Grünen. "Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht, das alle betrifft. Hier keine Begutachtung zu machen, ist ein Witz", sagt die Grünen-Chefin zur "Wiener Zeitung".

Auch die anderen Oppositionsparteien stören sich am Vorgehen der Regierung, Teile einer geplanten Reform in aller Schnelle vorzuziehen. "Bei so einem sensiblen grundrechtlichen Thema darf eine Änderung nicht durch das Parlament geboxt werden", sagt Nikolaus Scherak, Verfassungssprecher der Neos.

Der Grund, weshalb die Regierung hier den parlamentarischen Turbo zünden will, liegt im türkischen Referendum Mitte April. Denn eine der drei Änderungen, die nun vorgezogen werden, soll der Regierung die Möglichkeit geben, Versammlungen zu untersagen, bei denen ausländische Politiker auftreten sollen.

Diese "Lex Erdogan" wollten beide Parteien, wenn auch anfangs auf juristisch unterschiedliche Art und Weise. Im Initiativantrag wird sich nun die SPÖ-Formulierung finden, dafür bekommt Innenminister Wolfgang Sobotka zwei Wünsche der Polizei erfüllt: eine Schutzzone zwischen zwei Demonstrationen sowie eine längere Anmeldefrist.

Versammlungen sollen künftig - wie in Deutschland - spätestens 48 Stunden davor angezeigt werden müssen, ursprünglich wollte die ÖVP 72 Stunden. Auch bei der Schutzzone traf man sich in der Mitte. Statt 150 Meter beträgt die Schutzzone laut Entwurf "zwischen 50 und 150 Meter". Spontane Versammlungen sind übrigens weiterhin möglich, sie sind grundrechtlich geschützt.

Damit sich die Novelle noch vor dem Referendum ausgeht, bedarf es aber eines parlamentarischen Kniffs. Denn eigentlich muss jeder Antrag im zuständigen Ausschuss verhandelt werden, ehe er wieder ins Plenum zurückgeht. Offenbar plant die Regierung, den Antrag mit einer Fristsetzung zu versehen, um ihn gleich tags darauf in der zweiten Lesung Gesetz werden zu lassen. "Das gibt die Geschäftsordnung her, widerspricht aber klar parlamentarischen Usancen", sagt Scherak.

Vielleicht kommt es aber ohnehin anders, als noch am Dienstag geplant. Schließlich hat nur eine Stunde nach der verkündeten Einigung die AKP vermeldet, alle noch geplanten Auftritte von türkischen Politikern in Deutschland abzusagen. Ob das auch für Österreich gilt, wo es bisher keine Auftritte namhafter AKP-Akteure gab, war bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen. Es könnte der Thematik aber jedenfalls die Dringlichkeit nehmen.

Was genau sind"außenpolitische Interessen"?

Die Regierung will ohnehin nicht so gerne von einer Lex Erdogan sprechen, der Gesetzestext ist auch entsprechend abstrakt formuliert. Demnach können Versammlungen künftig verboten werden, die "außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwiderlaufen". Das lässt naturgemäß interpretativen Spielraum, der auch heikel ist.

Könnte damit eine Regierung eine Demonstration gegen ausländische Staatsoberhäupter mit dem Argument untersagen, dass damit "außenpolitische Interessen" gefährdet seien? Grundsätzlich ja, aber laut Verfassungsrechtler Theo Öhlinger würde ein derart begründetes Verbot vor dem Verfassungsgericht nicht Bestand haben - nachträglich. Das ist die prinzipielle Problematik des Versammlungsrechts: Der VfGH kann immer nur im Nachhinein erkennen, dass eine Demo zu Unrecht untersagt wurde. Das ist auch immer wieder passiert.

Öhlinger glaubt aber, dass das Gesetz samt vager Formulierung zu Auftritten ausländischer Politiker grundsätzlich vor dem VfGH halten kann. "Die Chance ist gegeben", sagt er und verweist auf die auch jetzt abstrakte Definition Formulierung von Untersagungsgründen ("öffentliche Ordnung").

Alle weiteren von Sobotka gewünschten Änderungen kommen derweil nicht, sie werden in einer Enquete debattiert. Eine komplette Neufassung des Gesetzes ist demnach weiterhin nicht vom Tisch, zum Teil wird dies aber auch von Rechtsexperten begrüßt. Das aktuelle Versammlungsgesetz stammt großteils aus 1953.