Gewalt und kaum Nahrung. Die Venezolanerin Maria Hernandez über ein Leben im Ausnahmezustand.
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Bogota. Die Krise in Venezuela eskaliert. Es gibt kaum Lebensmittel, keine ärztliche Versorgung und viele gewalttätige Übergriffe. Hunderttausende Menschen aus Venezuela flüchten in die Nachbarländer Brasilien und Kolumbien. Zuletzt haben die beiden Staaten jedoch ihre Grenzkontrollen verschärft. Die "Wiener Zeitung" hat in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota mit der Venezolanerin Maria Hernandez gesprochen, bevor sie wieder in ihr Heimatland zurückkehrte. Die 68-Jährige arbeitete 25 Jahre als Krankenpflegerin in Deutschland und bezieht von dort ihre Rente. Hernandez, deren echter Name nicht in einer Zeitung stehen soll, erzählt vom täglichen Überleben.
"Wiener Zeitung": Warum sind Sie nach Bogota geflogen?Maria Hernandez: Ich bin nach Kolumbien gekommen, um meine Kieferfehlstellung zu behandeln. In Venezuela gibt es ja keine Ärzte mehr. Jeder, der kann, verlässt das Land.
Stimmen die Berichte, dass es kaum noch Nahrungsmittel gibt?
Es gibt keine medizinische Versorgung, die Supermärkte sind leer, es gibt nichts. Uns geht es schlechter als Kuba. Dort haben sie wenigstens noch medizinische Versorgung. Bei uns gibt es nicht einmal Aspirin. Ich lebe an der Küste. Dort haben wir es etwas besser. Wir ernähren uns vom Fisch, den wir selber fangen.
Auch die Kindersterblichkeit ist sehr hoch . . .
Aufgrund der schlechten Nahrungssituation sind viele Mütter unterernährt. Sie geben daher keine Milch mehr. Da es auch sonst keine Milch gibt, sterben ihre Babys.
Wie ist die Stimmung in Ihrem Dorf?
Die Dorfbewohner, viele Nachbarn von mir, die vorher rund und stämmig waren, sind heute dünn. Auch die Hunde sind nur noch dahinvegetierende Skelette. Sie finden nichts mehr zu fressen. Mich macht das fertig, so etwas mitansehen zu müssen.
Gibt es Zusammenhalt?
Unser Dorf bekommt alle 15 Tage eine Essensration. Dafür muss man sich stundenlang anstellen. Die Leute sind hungrig, haben keine Nerven mehr. "Du hast dich vorgedrängt, du hast schon bekommen", fauchen sie sich an. Es reicht nicht viel. Es kommt zu Schlägereien und Schlimmerem.
Wie schützen Sie sich?
Ich habe einen Elektrozaun rund um mein Haus und besitze fünf Hunde. Also, es sind vier. Einer ist vor kurzem gestorben. Ich mache nicht die Türe auf, wenn jemand klopft. Es ist ein Leben in ständiger Angst. Ich habe Glück, da ich meine Rente aus Deutschland beziehe. 25 Jahre arbeitete ich dort als Krankenschwester.
Was bleibt von Hugo Chavez, der Ende der 90er Jahre die bolivarische Revolution ausrief?
1998 hat alles begonnen. Damals hat Hugo Chavez die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Wir konnten ja nicht ahnen, wie weit es kommen würde. Er hat alle Ausländer aus Venezuela rausgeschmissen und hatte dann niemanden mehr, der die Öltürme betreiben konnte. Jetzt liegt alles danieder. Die Ölförderung, einst das wirtschaftliche Rückgrat des Landes, ist auf zwei Prozent gesunken. Für die Machthaber reicht es trotzdem, um sich die Taschen zu füllen.
Unter den Linken wurde Hugo Chavez damals als neuer Messias gefeiert. Er trat für gerechte Verteilung ein, wollte die Korruption bekämpfen.
Chavez war kein Linker, er war ein Populist. Ihm ging es nur um die Macht. Er hat den Leuten schöne Geschichten erzählt und sich die Taschen vollgestopft. Sein Nachfolger Nicolas Maduro führt diesen Weg weiter. Mit Gewalt und Zensur. Ich habe hier in Bogota ein Buch über Chavez gekauft. Das muss ich nun am Flughafen in Caracas durch den Zoll schmuggeln. Ich werde es in Geschenkpapier einwickeln. Wenn sie es entdecken, werde ich sagen: "Oh ich wusste nicht, was drinnen war."
Gibt es Widerstand?
Wir haben wochenlang Widerstand geleistet. Hunderte Menschen wurden dabei erschossen. Frei nach dem Motto: Erst wird geschossen, dann wird geredet. Das sind Banditen, die mit der Drogenmafia unter einer Decke stecken. Die Militärs werden sehr gut bezahlt. Wie lange sie dieses Spiel noch mitspielen, weiß keiner.
Wie geht es weiter?
Man muss diese Leute kaltmachen. Es gibt einfach keinen Weg zurück. Der Punkt des Zurück ist überschritten. Sie können nicht mehr sagen: "Es tut uns leid, wir ziehen uns zurück."
Bleiben Sie in Bogota?
Nein, ich werde in zwei Tagen nach Venezuela zurückfliegen. Mein Haus steht ja dort. Und schauen Sie mich an, ich bin alt.