Mit der Hinrichtung von Mohsen Shekari versucht die Islamische Republik die Protestierenden einzuschüchtern.
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Teheran/Wien. Es war die Nachricht, vor der sich alle gefürchtet haben, seit die aktuelle Protestbewegung im Iran mit dem Tod der Kurdin Mahsa Jina Amini Ende September ihren Anfang nahm. Das ultimative Mittel der Einschüchterung der Islamischen Republik nach drei Monaten extremer Brutalität auf der Straße gegen die eigene Bevölkerung, der Folter in den Gefängnissen, der sexuellen Gewalt als systematisches Instrument des iranischen Repressionsapparats.
Mit der Exekution von Mohsen Shekari, dem ersten Todesurteil im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten, hat das Regime am Donnerstag nun dieses Mittel zum Einsatz gebracht. 75 Tage nach seiner Festnahme, ohne Zugang zu einem Anwalt, und mittels erzwungener Geständnisse, die mittlerweile in Kanälen der Revolutionsgarden veröffentlicht wurden. Die Hinrichtung folgte just am Tag nach einem dreitägigen Streik, der das gesamte Land erfasst hatte - und dem Regime einmal mehr die Disziplin und Hartnäckigkeit der Bewegung, welche die Protestierenden längst als eine Revolution bezeichnen, vor Augen geführt hat. Es ist eine klare Botschaft an die jungen Revolutionärinnen - und die internationale Öffentlichkeit: Wir bluffen nicht, was Shekari passiert ist, kann jedem einzelnen passieren, der Widerstand leistet.
28 weitere Todeskandidaten
Der 23-Jährige soll am 25. September in Teheran bei einer Straßenblockade ein Mitglied der Basij-Milizen, jener paramilitärischen Einheit, die zur Niederschlagung von Protesten eingesetzt wird, verletzt haben. Ein Revolutionsgericht - das nicht von Richtern, sondern von Geistlichen geführt wird - hat ihn am 1. November schuldig gesprochen, und der Berufung 20 Tage später nicht stattgegeben. Das Urteil: "Kriegsführung gegen Gott." Die Strafe: der Tod.
Mindestens 28 Angeklagten droht das selbe Schicksal, der 20-jährige Ali Moazemi-Goudarzi soll möglicherweise schon an diesem Freitag hingerichtet werden. Unter den potenziellen Todeskandidaten befinden sich außerdem der Radiologe Hamid Ghareh-Hassanlou, dessen Todesurteil am Dienstag ausgesprochen wurde und der Rapper Saman Yassin, dessen Mutter in einer Videobotschaft die Welt anfleht, ihren Sohn, der "kein Krawallmacher, sondern ein Künstler ist" zu retten. Auch der Rapper Toomaj Salehi, dessen Zwangsgeständnis unlängst als perfides Video, untermalt mit seiner eigenen Musik, veröffentlicht wurde, soll wegen "Korruption auf Erden" hingerichtet werden. Auf der Liste der potenziellen Todeskandidaten befinden sich laut Menschenrechtsorganisationen auch mindestens drei Minderjährige, was die Justizbehörden aber verneint haben.
"Die internationale Gemeinschaft muss sofort und entschieden auf diese Hinrichtung reagieren", sagte der iranisch-norwegische Menschenrechtsaktivist Mahmood Amiry-Moghadam in einem Interview mit BBC Farsi. "Wenn die Hinrichtung von Shekari keine schwerwiegenden Folgen für die Regierung hat, werden wir mit Massenexekutionen von Demonstranten rechnen müssen."
Das Trauma des Jahres 1988
Eine Hinrichtungswelle haben die Iraner schon knapp zehn Jahre nach der Gründung der Islamischen Republik erlebt. 1988 wurden Todesurteile gegen Oppositionelle en masse vollstreckt. Irans aktueller Präsident Ebrahim Raisi war damals Teil eines vierköpfigen Todeskomitees, das diese Urteile gesprochen hat. Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 5.000 Menschen getötet. Noch heute suchen die Familien der Opfer nach den Gräbern und Überresten ihrer Angehörigen.
Das Trauma von Massenhinrichtungen sitzt tief in der iranischen Gesellschaft und es wird nur allzu gern von den Machthabern bedient. Erst Anfang dieser Woche kündigte ein Sprecher von Irans Justizchef Gholamhossein Mohseni-Ejei an, dass die verhängten Strafen in Zusammenhang mit den aktuellen "Ausschreitungen", wie das Regime die Protestbewegung bezeichnet, so schnell wie möglich vollstreckt werden sollen.
Was die Islamische Republik allerdings unterschätzt, ist, dass sie mit der Hinrichtung von Mohsen Shekari einen weiteren Märtyrer der aktuellen Bewegung geschaffen hat. Er ist nun genauso wie Mahsa Jina Amini, Nika Shakarami, Sarina Esmailzadeh, Kian Pirfalak und so viele andere im kollektiven Gedächtnis der Iraner gespeichert. Und jeder Märtyrer und jede Märtyrerin hält den Motor dieser Bewegung, die nichts Geringeres als den Systemsturz verlangt, am Laufen.