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"Erste positive Signale aus Ankara"

Von Ines Scholz

Politik

Der Anwalt von PKK-Chef Abdullah Öcalan, Ahmet Avsar, hat am Freitag in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" zum Prozess und den Chancen einer friedlichen Lösung des Kurden-Problems Stellung | genommen. Der Chef der Kurdischen Arbeiterpartei wurde in der Türkei wegen Hochverrats in erster Instanz zum Tode verurteilt worden. Sollte das Berufungsgericht das Urteil bestätigen, haben die | Abgeordneten das letzte Wort.


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"Wiener Zeitung":

PKK-Chef Öcalan wurde am 29. Juni 1999 zum Tode verurteilt. Diese Woche beginnt sein Revisionsverfahren. Der neue Chef des Berufungsgerichts, Sami Selcuk, sorgte kürzlich für Aufsehen, indem er

die Achtung der Menschenrechte und eine unabhängige Justiz in der Türkei forderte. Welches Urteil erwarten Sie im Falle Öcalan?

Avsar:

Es ist erstaunlich, dass die Aussagen von Herrn Selcuk eigentlich jenen von Herrn Öcalan entsprechen: Samcuk sagte, die Türkei sei zwar eine Republik, aber keine demokratische Republik. Außerdem

betonte er, dass die Verfassung noch auf die Ära nach dem Militärputsch zurückgeht und revisioniert werden muss. Diese Aussagen haben in der türkischen Öffentlichkeit und vor allem bei den

Regierungsvertretern für Aufsehen gesorgt und eine Diskussion ausgelöst. Einige Politiker deuteten an, dass sie bei der Eröffnung des Parlamentes am 2. Oktober für eine Änderung der Verfassung

eintreten werden. Es gibt einige positive Zeichen.

Also hoffen Sie auf Milde?

Selcak hat ganz offen gesagt, dass die Justiz nicht unabhängig ist. Das heißt, dass die Beeinflussung und das unvorantwortliche Vorgehen der Medien, Politik und des Militärs keine unabhängige

Entscheidung der Justiz zulässt.

Das heißt also Bestätigung des Todesurteils.

Es gibt einige positive Schritte, die ab dem 29. August auf die Tagesordnung (des Parlaments, Anm.) kamen und die werden wir bei der Verhandlung vor dem Kassationsgericht vorbringen.

Sie meinen die Ankündigung der PKK, dem Aufruf Öcalans zu folgen und ihre Waffen niederzulegen.

Die Vorschläge Öcalans bezüglich des Friedens und der Kurdenfrage wurden von den Staatssicherheitsgerichten so interpretiert, dass Öcalan dies nur aus taktischen Gründen gesagt hat und es ihm mit

diesen Vorschlägen nicht ernst sei. Das wurde auch bei der Urteilbegründung protokolliert.

Wie ernst ist es ihm?

Seit dem 2. August ziehen sich die bewaffneten PKK-Kräfte aus der Türkei zurück. Wir werden bei dieser Verhandlung die Entschlossenheit von Herrn Öcalan zur Sprache bringen.

Der türkische Generalstabschef Huseyin Kivrikoglu, der als mächtigster Mann in der Türkei gilt, hat kürzlich bezüglich des bevorstehenden Revisionsurteils wörtlich gesagt: "Uns dürfen Sie nicht

fragen, wir haben 15 Jahre gegen die PKK gekämpft, wir sind parteiisch". Staatspräsident Demirel wies darauf hin, dass das Urteil gegen Öcalan in erster Instanz nicht das Ende des Verfahrens bedeute

und verwies auf Parlament und internationalen Menschenrechtsgerichtshof. Sind dies Vorboten einer grundlegenden Neuausrichtung der Türkei im Umgang mit dem Kurdenkonflikt?

Sowohl auf politischer Ebene als auch im Militär gibt es einige gemässigte Kräfte, die für ein Ende des Krieges eintreten. Das sind positive Fortschritte. Es ist derzeit in der Türkei ein

Diskussionsprozess über die Kurdenpolitik im Gange, obwohl dieser von einigen Seiten stark behindert wird. Das ist zu begrüssen. Es gibt auch Überlegungen, ab Oktober einige juristische Reformen

durchzuführen · etwa die Aufhebung der Todesstrafe. Diskutiert wird auch eine Generalamnestie anlässlich des 76. Gründungsjahres der Republik. Die Paragraphen §14 und §87 der türkischen Verfassung

verhindern allerdings, dass diese Amnestie auch auf politische Gefangene angewandt werden kann. Deshalb sollten auch diese Paragraphen aufgehoben werden, um eine gesellschaftliche Basis zu schaffen.

Am Donnerstag soll der Kassationshof entscheiden, ob das Todesurteil gegen Öcalan rechtmäßig war. Für den politischen Dialog bleibt nicht viel Zeit.

Für den 7. Oktober ist eine erste Hauptverhandlung im Berufungsverfahren anberaumt. Die Chancen, dass sie verschoben wird, stehen allerdings sehr gut. Es kann sein, dass die Verhandlung auf Mitte

Oktober oder Anfang November verschoben wird. Wir glauben, dass die Friedenssignale der PKK ein positives Echo bei den Politikern hervorrufen werden. Dies könnte auch die Atmosphäre bei der

Hauptverhandlung positiv beeinflussen.

Die PKK hat sich bereit erklärt, den bewaffneten Kampf zu beenden. Auch der militärische PKK-Flügel, die ARGK, stimmte dem zu.

Es ist offensichtlich, dass sich die PKK nach den Aufrufen Öcalans in eine andere, in eine politische Richtung bewegt und das auch ernst meint. Keine Gruppierung in der PKK stellt sich gegen diese

Äußerungen.

Die Türkei hat vor drei Tagen eine neue Militäroffensive gegen die PKK im Nordirak gestartet. Ankara scheint die Situation ganz anders einzuschätzen.

Wir glauben nicht, dass das die Militäraktion eine einseitige Entscheidung des Generalstabchefs ist, sondern dass es innerhalb der Armee einige Kräfte gibt, die eine friedliche Lösung verhindern

wollen. Der Einmarsch im Nordirak erfolgte, nachdem sich eine Gruppe der PKK bereit erklärt hat, Öcalans Vorschlägen zu folgen und in die Türkei zu kommen, um sich an dem Demokratisierungsprozess zu

beteiligen. Es ist ganz offensichtlich, dass einige Kräfte in der türkischen Armee den Krieg fortsetzen wollen. Aber wir haben trotz dieser Provokationen und dieser Auseinandersetzungen die Hoffnung

auf einen Friedensprozess.

Sie sprechen von Provokationen. Wenn 5.000 türkische Soldaten die PKK im Nordirak bombardieren, kann man das wohl kaum als eine Aktion einzelner Soldaten bezeichnen?

Man muss die Struktur der türkischen Armee kennen. Wir wissen, dass sich einige Kräfte in der Armee für den Frieden stark machen wollen und Herr Öcalan hat bewusst auf diese Gruppe gesetzt. Er

will sie aktivieren und motivieren, damit dieser Krieg beendet wird.

Die PKK behauptet, ihre Kämpfer würden sich in den Nordirak zurückziehen, um den Friedenswillen zu bekunden. Können Sie das bestätigen?

Wir haben die Information, dass sich bereits drei Viertel der Kämpfer zurückgezogen haben. Aber es werden sich alle Kämpfer hinter die Grenzen der Türkei zurückziehen. Wenn man die geografischen

Bedingungen und die Provokationen der anderen Seite in Betracht zieht, ist es klar, dass es einige Zeit dauert, bis der Rückzug abgeschlossen ist.

Öcalan hat die PKK aufgefordert, einige ihrer Kämpfer mögen als Zeichen des Friedens ihre Waffen abgeben. Es gibt Meldungen, wonach eine solche Aktion kurz bevorsteht.

Ja. Die rund 20-köpfige Gruppe wird vom ehemaligen Europasprecher der ERNK, Ali Sapan, angeführt. Ihr haben sich freiwillig auch einige PKK-Kämpfer angeschlossen. Die Gruppe wartet bereits bei

Hakkari an der Grenze zur Türkei. Zwei unserer Anwaltskollegen sind in Richtung Grenzgebiet gereist, um diese bei der geplanten Waffenabgabe zu begleiten, wurden aber am Donnerstag festgenommen. Nach

meinen neuen Informationen wurden die Anwälte heute wieder freigelassen. Wenn die Regierung keinen verhindernden Schritt setzt, wird sich die Gruppe noch heute (Freitag, Anm.) in der Türkei stellen.

Bei der Einreise droht den PKK-Vertretern sofort die Verhaftung.

Natürlich. Ich glaube aber, dass durch diesen symbolischen Schritt auch eine Generalamnestie gefördert werden kann. Die Gruppe um Sapan hat Friedensbotschaften des PKK-

Zentralkommitees/Präsidialrat an den Staatspräsidenten, den Premierminister und den Generalstabchef im Gepäck.

Öcalan befindet sich seit 250 Tagen auf der Gefangeneninsel Imrali in Isolationshaft. Wurden seine Haftbedingungen verbessert? Erhält er Zugang zu seinen Rechtsanwälten?

Öcalan befindet sich seit dem 16. Februar in einer 10 m² großen Zelle. Er hatte bis zu Beginn seiner Verhandlung am 31. Mai keinen oder wenige Kontakte zur Aussenwelt.

Die Anwälte von Öcalan haben ihre Verteidigung während des Prozesses im Juni kurzfristig zurückgelegt, weil sie mit ihm nur 20 Minuten reden konnten und dies nur im Beisein von

Geheimdienstbeamten. Haben sich die Bedingungen gebessert und erhalten Sie regelmäßigen Zugang zu ihm?

Es stimmt, dass die ersten Treffen mit Öcalan unter sehr schwierigen Umständen stattfanden. In den ersten Tagen wurden die Anwälte von Teilen der Bevölkerung fast gelyncht. Auch unsere Familien

wurden bedroht. Die Situation hat sich aber gebessert. Wir erhalten auch einen weniger restiktiven Zugang zu Öcalan.

Hat Öcalan angesicht seiner drohenden Hinrichtung noch Zukunftshoffnungen?

Er zeigt sich zuversichtlich, dass seine Friedensangebote in der Regierung zu einem Umdenkungsprozess in Richtung Demokratisierung führen wird.

Haben Sie Angst um Ihre Sicherheit?

Wir sind uns im Klaren, dass den Anwälten des Chefs der PKK, wenn sich sein Prozess zum Schlechten entwickelt, ebenfalls ein Gerichtsverfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation droht.

Es hieß, Öcalan sei nach seiner Festnahme aus Kenia Mitte Februar zwar nicht gefoltert, aber unter Drogen gesetzt worden. Können Sie das bestätigen?

Öcalan hatte erklärt, dass er in den ersten Tagen unter sehr starkem psychischen Druck stand. Bei den Begegnungen mit ihm haben wir keine Beeinträchtigungen seines Bewusstseins festgestellt.

Es gab international massive Kritik an der Durchführung des Verfahrens gegen Öcalan · etwa von der UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson und auch von Amnesty International. Wie war es

möglich, dass türkische Zeitungen aus angeblichen Verhörprotokollen der Staatsanwaltschaft zitierten, bevor der Prozess gegen Öcalan überhaupt noch begonnen hatte?

Es hat uns selbst erstaunt, dass die Medien über diese Protokolle berichteten, bevor noch der Staatsanwalt und wir Anwälte Einsicht in die Protokolle nehmen konnten.

In den Zeitungsberichten stand, Öcalan habe ausgesagt, die PKK erhielt Waffen aus Griechenland, die kurdische Hadep-Partei habe Trainingslager in Rumänien unterhalten. Stimmen die Berichte?

In den Medien wurden viele Dinge behauptet. Auch, dass er drogensüchtig sein soll.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.