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Erste Wahl 1945 brachte Überraschung

Von Karl Pisa

Politik

Wahlen sind oft für Überraschungen gut. Auch heute noch bei Kopf-an-Kopf-Rennen und Meinungsumfragen mit Schwankungsbreiten bis zu plus/minus 4 Prozent. Die ersten Nationalratswahlen der Zweiten Republik am 25. November 1945 aber waren Überraschungswahlen in mehr als einer Hinsicht.


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Überraschend war eigentlich schon, dass sie überhaupt stattfinden konnten, denn die sowjetische Besatzungsmacht hatte beim Einstimmigkeitsprinzip im Alliierten-Rat die Möglichkeit, sie zu verhindern. Aber sie verließ sich auf die von den Kommunisten erwarteten 25 bis 30 Mandate. Und selbst nichtkommunistische Prognosen erwarteten 45 Prozent für die SPÖ, 40 Prozent für die ÖVP und 15 Prozent für die KPÖ, also eine satte Links-Mehrheit.

Repräsentative Umfragen gab es noch nicht und die letzte freie Wahl mit den Sozialdemokraten als stärkste Einzelpartei lag 15 Jahre zurück. Außerdem hinkten nach 1934 und 1938 alle Vergleiche und die Wählerstruktur hatte sich durch eine Viertel Million Gefallene und Vermisste, 600.000 Kriegsgefangene und die nicht wahlberechtigten minderbelasteten Nationalsozialisten grundlegend verändert. Bei der nächsten Nationalratswahl im Jahr 1949 gab es durch Heimkehrer und wieder wahlberechtigte Minderbelastete gleich um eine Million mehr gültige Stimmen.

Das Stimmungsbarometer der damals zahlreichen Wahlversammlungen war wenig aussagekräftig, denn die Bewegungsfreiheit war durch vier Besatzungszonen in Österreich und in Wien, durch zerstörte Verkehrsanlagen und die herrschende Unsicherheit behindert und die Kommunisten konnten in den von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmten Betrieben auch Druck ausüben.

Wahlkampf war in erster Linie ein Papierkrieg

Da es kein Fernsehen und nur einen Verlautbarungsrundfunk gab, war der Wahlkampf in erster Linie ein Papierkrieg, auf den aber auch die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone durch Papierzuteilungen Einfluss nehmen konnte. Trotzdem gab es aussagekräftige Plakattexte: So den anonymen "Wer die Rote Armee liebt, wählt kommunistisch", den sozialistischen der Kriegsgefangene gegen "Nazis nach Sibirien" tauschen wollte oder das aus Papierabfällen stammende Streifenplakat der ÖVP mit dem angesichts vieler Plünderungen aktuellen, von Raab erfundenen Text "Mein und Dein sind Rechtsbegriffe".

33 Tageszeitungen sind gegründet worden

Der Schwerpunkt der Kommunikation lag bei Politikerreden in Wahlversammlungen, über die in den damals dominierenden Tageszeitungen der Parteien berichtet wurde. 33 Tageszeitungen waren zwischen dem 21. April und dem Wahlkampf gegründet worden, darunter 21 Parteizeitungen und zwei Drei-Parteienzeitungen, sieben der Besatzungsmächte, zwei bereits im Privatbesitz befindliche und die der Republik gehörende "Wiener Zeitung".

"Wiederwählendürfen" wurde zur Motivation

Für die Wahlberechtigten war auch bei der begrenzten Auswahl zwischen drei Parteien das "Wiederwählendürfen" eine heute nicht mehr vorstellbare Motivation, war doch den meisten bewusst, dass an die Stelle der eben erst überwundene Ein-Parteien-Herrschaft auch wieder - wie bald darauf in den benachbarten Volksdemokratien - eine neue treten könnte. Trotz Hunger mit 800 Kalorien pro Tag im September in Wien und einer Trümmerlandschaft in vielen Städten machten 95 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Das auch durch keine Hochrechnungen kurzfristig vorhersehbare Ergebnis war für alle Beteiligten eine Überraschung: 85 der damals 165 Mandate und damit die absolute Mehrheit für die ÖVP, 76 für die SPÖ und angesichts des Propagandaaufwands lächerliche vier für die KPÖ.

Da es keine Exit-Polls und Wählerstromanalysen gab, war die einzig gesicherte Zahl die der 63 Prozent Frauen, die, so kann man mutmaßen, nach sieben Jahren Krieg wohl mehrheitlich für keine Kampfparolen mehr empfänglich waren, Dass es nach der Wahl zu einer Konzentrations-Regierung aller drei wahlwerbenden Parteien kam, war aus heutiger Sicht überraschend, entsprach aber der Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen für den Wiederaufbau, bei den Gegnern der Ersten Republik des Zusammenhaltens gegenüber einem Besatzungsregime und im Falle der Kommunisten auch der Opportunität angesichts der für einen Staatsvertrag entscheidenden Rolle der Sowjetunion.

Provisorische Regierung Renner bis 20. Dezember 1945: 11 SPÖ, 9 ÖVP, 7 KPÖ, 2 parteilos

Regierung Figl ab 20. Dezember 1945: sieben Minister und ein Staatssekretär ÖVP, sechs Minister und ein Staatssekretär SPÖ, zwei parteilose Minister und ein KPÖ-Minister