Wahl könnte labiles Bundesverhältins stören. | FDP bangt um Koalition in Magdeburg. | Berlin. Das hat es schon lange nicht mehr gegeben: Wahlkampf mit Glacé-Handschuhen. Schwarzkittel und Red Bull wuschen einander den Pelz, aber machten einander nicht nass. Auch wenn's nach "g'mahter Wies'n" aussieht, könnte der bevorstehende Wahlsonntag in Deutschland doch noch spannend werden; weniger für die Parteizentralen in Stuttgart, Mainz und Magdeburg, sondern eher für die Große Koalition in Berlin.
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Am wenigsten zu befürchten haben wohl die drei amtierenden Herren Ministerpräsidenten. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn am kommenden Montag der hagere Günther Oettinger (CDU) nicht mehr Landesherr von Baden-Württemberg sein sollte, der rundliche Kurt Beck (SPD) nicht mehr in Rheinland-Pfalz oder der joviale Wolfgang Böhmer (CDU) nicht mehr in Sachsen-Anhalt regierten.
Im südwestlichen Schwabenländle, seit 53 Jahren in christdemokratischen Händen, kann sich Amtsinhaber Oettinger zwar auf einem bequemen Stimmungspolster von fünfzehn Prozent vor der SPD ausruhen, seine Herausforderin Ute Vogt kommt aber mit nur sieben Prozent Rückstand recht knapp an ihn heran. Jeder zweite Schwabe gibt sich unentschlossen. Dennoch weissagen die Demoskopen eine klare schwarz-gelbe Mehrheit, da auch Koalitionspartner FDP (hier FDP/DVP) mit einem Ergebnis wie beim letzten Mal rechnen darf.
Die ehemalige CDU-Hochburg Rheinland-Pfalz verlor der "schwarze Vogel" (Bernhard Vogel ist der Bruder des SPD-Altvorsitzenden Hans-Jochen) 1991 an Rudolf Scharping. Vor zwölf Jahren beerbte ihn Kurt Beck, Aushängeschild der mittlerweile personalknappen SPD und deren erster stellvertretender Vorsitzender. An seiner Bestätigung zweifelt niemand, führt doch seine Partei mit 43 Prozent vor der CDU mit 36 Prozent. Herausforderer Christoph Böhr, in den eigenen Reihen umstritten, ist im Direktvergleich mit 17 zu 66 Prozent gegen Beck chancenlos. Becks Koalitionspartner FDP käme wieder auf etwa acht Prozent. Die linke WASG (Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit) würde hingegen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen.
Wenn überhaupt, dann steht die schwarz-gelbe Koalition in Sachsen-Anhalt auf der Kippe. Während die CDU mit einem Ergebnis wie beim letzten Mal (37 Prozent) ihren Vorsprung vor der SPD (23 %) halten könnte, würde die FDP hingegen fast halbiert. Damit wäre die schwarz-gelbe Mehrheit dahin und eine weitere große Koalition scheint sich anzubahnen. Amtsinhaber Wolfgang Böhmer zeigte in den letzten Tagen der FDP bereits die kalte Schulter.
Bundespolitische Nachwehen?
Zwei Drittel der Wähler unterscheiden sehr genau zwischen Bundes- und Landtagswahlen und ziehen landespolitische Themen für ihre Entscheidung am Sonntag heran. Dennoch sind mehrere Aspekte bundespolitisch interessant. So sind die Wahlen der erste Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung seit deren Bildung im vergangenen November. Immerhin können fast 13 Millionen Bundesbürger ihre Stimme abgeben. Das "delikate Gleichgewicht" innerhalb der Großen Koalition könnte sich verändern. Die SPD ist laut Umfragen in der Wählergunst dramatisch abgesackt. Eine Schlappe am Wochenende wäre Öl ins Feuer der parteiinternen Koalitionsgegner. Die könnte sich auf die Stimmung in der Berliner Koalition und auf einige Reformprojekte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Vize Franz Müntefering (SPD) negativ auswirken, etwa bei der Renten- oder bei der Gesundheitsreform.
Um die unpopuläre Mehrwertsteuer-Erhöhung durchzudrücken - ein Essential der Regierungspolitik -, muss der Bundesrat zustimmen. Dort hängt die Mehrheit von den Wahlergebnissen in den Ländern ab (heuer wählen insgesamt fünf Länder).
Nach dem Usus im Bundesrat hat sich ein Land der Stimme zu enthalten, wenn zwischen den Koalitionspartnern daheim keine Einigung erreicht wurde. Die FDP könnte also die Steuererhöhung verhindern. Dazu müsste sie aber erst einmal nach dem Wahl-Sonntag in Magdeburg an der Regierung bleiben und ab Herbst in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in die Regierung kommen, wo derzeit rot-rote Koalitionen herrschen.
Doch gerade dieser Wahlabend könnte die FDP mit ihrem ehrgeizigen Ziel scheitern lassen, denn die Umfragewerte in Sachsen-Anhalt weisen eher in die Richtung einer schwarz-roten Koalition.
Tarifstreit mit neuen Perspektiven
Auch die Bürger und die Landes-Bediensteten sehen mit einiger Spannung auf den Wahltag. Denn die Bereitschaft, sich im Tarifkonflikt zu arrangieren, sollte danach eher größer werden. Dabei rückt auch das Abschneiden der Linkspartei bzw. der WASG in den Fokus, die im Konflikt eng mit den Gewerkschaften kooperieren. Während die Anhänger von Gregor Gysi in Sachsen-Anhalt gleichauf mit der SPD bei 23 Prozent liegen, werden sie in den beiden alten Ländern vermutlich nicht in den Landtag gewählt werden. Die Fusions-Euphorie der beiden Linkskräfte hatte erst kürzlich einen ziemlichen Dämpfer bekommen, weil WASG und PDS im Herbst in Berlin gegen einander antreten werden. Die Stäbchen im deutschen Politik-Mikado liegen kreuz und quer; ein unerwarteter Ruck am Sonntag könnte das labile Gleichgewicht durcheinander bringen. Ein Absacken der SPD würde dem Berliner Duo Merkel-Müntefering das Leben erschweren; ein Debakel der FDP würde Guido Westerwelle als selbst ernannten Oppositionsführer zurückwerfen; eine Schlappe der Linksparteien würde deren Fusionspläne gefährden und eine CDU-Niederlage den Höhenflug der Kanzlerin jählings stoppen. Sollten jedoch die politischen Ränder erstarken, wäre dies unter anderem ein Signal an die Gewerkschaften, in ihrer Tarifpolitik härter zu werden. Würde hingegen die FDP durchstarten, wäre das Projekt "Senkung der Lohnnebenkosten und Entschuldung der Länder durch höhere Umsatzsteuern" in Gefahr. Pass auf, Berlin!