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Der Oktober ist ein entscheidender Monat in der Europäischen Union: Bereits kommenden Mittwoch legt die Kommission ihre Länderberichte über die Fortschritte der Beitrittskandidaten vor. Aller Voraussicht nach wird die Kommission alle zehn Länder der für 2004 geplanten Erweiterungsrunde für beitrittsreif erklären. Dem sollen die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel am 24. und 25. Oktober in Brüssel ihren Sanktus geben. Davor, am 19. Oktober, geht in Irland das zweite Referendum über den Nizza-Vertrag über die Bühne. Er bildet die Voraussetzung für die Erweiterung der Union.
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Tschechien und die Slowakei, Polen, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen sowie Malta und Zypern dürften alle Voraussetzungen für eine Aufnahme in die EU im Jahr 2004 erfüllen. Die EU-Kommission wird in ihren "Fortschrittsberichten" empfehlen, mit den zehn EU-Bewerberstaaten noch in diesem Jahr die Beitrittsverhandlungen abzuschließen. "Davon gehen wir aus, dass es zehn Staaten sein werden", bestätigt Botschafter Martin Saijdik, Leiter der Erweiterungssektion im Außenministerium, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Überraschungen sind - das liegt in der Natur der Sache - freilich nicht vorhersehbar. Darauf sei man im Wiener Außenministerium seit fünf Jahren, seit Beginn der Beitrittsverhandlungen für die anstehende Runde, gefasst. "Uns kann etwas nicht so schnell überraschen." Und Saijdik ist überzeugt: "Die Erweiterung scheitert nicht." Äußerungen eines Vertreters der amtierenden dänischen EU-Ratspräsidentschaft hatten in den vergangenen Wochen Gerüchte genährt, wonach Zypern aus der Beitrittsrunde hinausfallen könnte. Der nach wie vor ungelöste Konflikt zwischen dem griechisch-zypriotischen und dem türkisch besetzten Inselteil wurde als Grund angegeben. EU-Politiker, von Erweiterungskommissar Günter Verheugen abwärts, beeilten sich, heftig zu widersprechen: Eine Erweiterung ohne Zypern sei undenkbar.
Unkenrufe, die kleine Inselrepublik Malta werde die Beitrittskriterien nicht erfüllen, wurden weitaus weniger deutlich dementiert. Die innenpolitisch lautstark vertretene Anti-EU-Lobby lässt den Beitritt der Mittelmeerinsel fraglich erscheinen. Nunmehr habe Malta aber nachgezogen und sei sehr bemüht, berichtet Saijdik.
Die Zeit drängt, um den Erweiterungsfahrplan einzuhalten. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Fortschrittsberichte wurde denn auch vorverlegt. In den Berichten stellt die Kommission den Kandidaten ein Zeugnis aus über ihre institutionelle Fähigkeit, Mitglied der Union zu werden. Nur einige Kandidatenländer werden darin zu "sofortigen Maßnahmen" aufgefordert werden, ließ Kommissar Verheugen bereits durchblicken. Das betrifft etwa die Einführung eines Systems zur Abrechnung von Agrarförderungen.
Problem Landwirtschaft
Die Landwirtschaft und - damit verbunden - die Budgetpolitik sind auch die schwierigsten Bereiche, die noch zu lösen sind. Beide Kapitel sind mit allen EU-Kandidaten noch offen. Die Beitrittsgespräche erfolgen Kapitel für Kapitel (insgesamt 31), in die der von den möglichen neuen Mitgliedsländern zu übernehmende EU-Rechtsbestand ("acquis communautaire") eingeteilt wurde. So spießt es sich derzeit noch beim Kapitel Wettbewerb: In Ungarn müssen Steuerbegünstigungen für Investoren abgeschafft werden. Mit Polen gibt es Probleme wegen des geplanten Umbaus der Eisen- und Stahlindustrie. Im Agrarkapitel müssen die EU-15 selbst erst in der Frage der direkten Förderzahlungen eine gemeinsame Linie finden; diese bildet dann die Verhandlungsbasis mit den Kandidatenländern. Entscheidend wird sein, ob sich die beiden Großen, Deutschland und Frankreich, in ihren Positionen annähern werden können.
Frankreich lehnt eine Reform der Landwirtschaft vor dem Jahr 2006, vor dem Hintergrund der Erweiterung, offiziell ab, da es Einbußen der EU-Agrarförderungen fürchtet. Der Landwirtschaft - in der Grande Nation auf eine traditionell starke Lobby gestützt - würde die Pleite drohen, wenn durch die Aufnahme neuer, ärmerer Länder die EU-Geldquellen versiegen würden. Aus dem ohnehin angeschlagenen Staatshaushalt könnte Frankreich die milliardenschweren Agrarsubventionen jedenfalls nicht bestreiten. Dem steht auf der anderen Seite des Rheins der größte EU-Nettozahler gegenüber. Deutschland kämpft gegen ein Abgleiten des Staatsdefizits. Wird das System der EU-Agrarhilfen nicht rasch verändert, muss Berlin noch tiefer in die Tasche greifen.
Brüssel hat daher für die Direktzahlungen an die neuen EU-Mitglieder eine Einschleifregelung vorgeschlagen; die Mittel sollen über zehn Jahre von zunächst 25 Prozent auf hundert Prozent des aktuellen EU-Niveaus steigen. Während das die Kandidatenländer als Benachteiligung werten, sieht Kommissar Verheugen zu dem Kommissionsvorschlag naturgemäß keine Alternative.
In dem noch zu verhandelnden Landwirtschaftskapitel klaffen auch bei den Produktionsquoten die Wünsche auseinander. Von den EU-Aspiranten wird erwartet, dass sie Realismus an den Tag legen und nicht mit allzu hohen Forderungen in die Verhandlungen gehen. Denn: Viel Zeit ist nicht mehr. Bis Mitte Dezember (EU-Gipfel in Kopenhagen) sollen laut EU-Fahrplan die Verhandlungen abgeschlossen sein. Die Kandidaten könnten nicht erwarten, nur auf der Nehmerseite zu stehen, heißt es in der EU. Gerungen wird daher auch noch um eine Lösung in der Budgetfrage. Es soll vermieden werden, dass die Reformstaaten mit dem EU-Beitritt gleich zu Nettozahlern werden, sprich: mehr einzahlen, als sie von der EU bekommen. Davon betroffen wären vier Länder (Tschechien, Slowenien, Zypern, Malta, siehe Grafik).
Derweil warten zehn Kandidatenländer und 14 EU-Partner gespannt auf den Ausgang des zweiten Nizza-Referendums in Irland. Sollte dieses scheitern, würde sich die Erweiterung verzögern, fürchtet Kommissar Verheugen. Die Union würde vor einer politisch schwierigen Situation stehen. Niemand könne sagen, wie lange dann die Unterstützung für den Erweiterungsprozess anhalten werde.