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Anders als Serbien kann sich die Türkei keine Hoffnungen auf einen EU-Beitritt in wenigen Jahren machen.
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Brüssel. Es war nicht nur die serbische Fahne, vor den EU-Gebäuden wehend, die den Politikern aus Belgrad ein freudiges Gefühl bescherte. Es waren auch die positiven Äußerungen der Kollegen aus der Union - und an denen mangelte es beim offiziellen Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien nicht. Seit Jahrzehnten "ist über uns nicht so viel Positives gesagt worden", bemerkte denn auch Ministerpräsident Ivica Dacic bei seinem Auftritt in Brüssel. Und er selbst wollte ebenso wenig mit großen Worten sparen. Die Aufnahme der EU-Gespräche sei der wichtigste Tag für sein Land seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Datum markiere ebenfalls ein Ende - das eines schwierigen Beginns.
Doch dass auch das lediglich ein Anfang ist, ist den Politikern klar. Obwohl Serbien bereits ein großes Stück des Weges hinter sich gebracht und schon mehrere Hürden genommen hat. Denn nur wenige Monate nach der Aufnahme der ersten Annäherungsgespräche mit der EU Ende 2005 wurden die Verhandlungen für ein gutes Jahr ausgesetzt, weil das Land nicht ausreichend bei der Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher mit dem zuständigen internationalen Tribunal zusammenarbeitete. Zu einer der größten Herausforderungen für Belgrad wurde aber die Normalisierung der Beziehungen zur ehemaligen südserbischen Provinz Kosovo. Deren Unabhängigkeit hat Serbien bis heute nicht anerkannt. Doch müht es sich um eine Normalisierung der Beziehungen zu seinem Nachbarn, was die EU zunächst mit der Gewährung des Beitrittskandidaten-Status und nun - nach mehreren Verzögerungen - mit dem Start der tatsächlichen Verhandlungen belohnte.
Bevor aber die drei Dutzend Gesprächskapitel mit ihren unterschiedlichen Themenbereichen durchgearbeitet werden, muss der gesamte Rechtsbestand des Staates auf seine Vereinbarkeit mit den EU-Gesetzen überprüft werden. Dennoch hofft Erweiterungskommissar Stefan Füle, dass noch heuer die ersten Kapitel aufgeschlagen werden können. Dies könnten so schwierige sein wie jene zu den Themen Justiz und Grundrechte. Diese Bereiche zählen zu den wichtigsten, sie sollten "zu den ersten gehören, die eröffnet, und zu den letzten, die geschlossen werden", befand Füle. So könne der Reformprozess gestärkt werden.
Erdogan auf Brüssel-Besuch
Parallel dazu hat Belgrad aber ebenfalls weitere Fortschritte bei den Gesprächen mit Pristina vorzuweisen. Ein weiteres Kooperationsabkommen sei zwar derzeit nicht geplant, erklärte Premier Dacic. Doch gebe es schon bei der Umsetzung der bereits getroffenen Vereinbarungen genug zu tun. Die Fixierung gewisser Autonomieregeln für den mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo ist ebenso Teil davon wie die Klärung von Eigentumsfragen oder Schutzklauseln für serbisch-orthodoxe Klöster und andere Kulturgüter im Kosovo.
Trotz all dieser Aufgaben glaubt Dacic, dass sein Land in fünf Jahren die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Union erfüllt haben werde. Bei den Verhandlungen um den nächsten mehrjährigen Haushalt der EU wäre Serbien gerne schon als Mitglied dabei. Dieser Budgetzyklus beginnt 2020.
Mag das Ziel auch ambitioniert klingen, scheint es für den Balkanstaat nicht völlig unerreichbar. Ein anderes Land hingegen kann sich derartige Hoffnungen kaum machen: Von einem EU-Beitritt der Türkei in wenigen Jahren ist nicht die Rede - obwohl die Gespräche darüber zum gleichen Zeitpunkt begonnen haben wie jene mit Kroatien, das mittlerweile ein Mitglied der Gemeinschaft ist.
Die Schwierigkeiten der Türkei auf ihrem Weg in die Union waren denn auch Thema beim Besuch von Premier Recep Tayyip Erdogan, der am selben Tag in Brüssel weilte wie sein serbischer Amtskollege. Erdogan erinnerte dabei daran, dass es trotz "all der Mühen, des guten Willens und der harten Arbeit" seines Landes einen mehr als dreijährigen Stillstand in den EU-Verhandlungen gegeben habe. Erst im Vorjahr wurde ein weiteres Gesprächskapitel eröffnet und ein Abkommen zur Rückübernahme von Flüchtlingen durch die Türkei unterschrieben. Diese Vereinbarung wiederum ist eine Voraussetzung dafür, dass Ankara einem wichtigen Ziel näherrückt: der Aufhebung der Visumpflicht für türkische Bürger bei Reisen in die EU.
Doch standen ebenfalls die innenpolitischen Probleme Erdogans auf der Agenda des Treffens in Brüssel. Denn die Konsequenzen, die die konservative AKP-Regierung aus einem Korruptionsskandal in ihren eigenen Reihen zog, sorgen für Kritik nicht nur bei der Opposition, sondern auch in der EU. So sind die Versuche umstritten, mehr Einflussnahme bei der Besetzung von Richter- und Staatsanwaltsposten zu erreichen. Während die Regierung betont, gerade die Unabhängigkeit der Justiz wahren zu wollen, sehen Skeptiker die Gewaltenteilung in der Türkei in Gefahr.
Diese Sorge habe er ebenfalls zum Ausdruck gebracht, beteuerte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso nach der Zusammenkunft mit Erdogan. Dieser habe aber versichert, dass sein Land die Regeln eines Rechtsstaates respektieren wolle.
Der Premier lieferte seine Interpretation gleich dazu. "In einem demokratischen Staat geht die höchste Macht vom Volk aus, und repräsentiert ist dieses in der Legislative", sagte Erdogan. Die Justiz dürfe keine separate Macht sein - auch sie müsse durch die Legislative geregelt sein.