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Es ist wieder erlaubt oder wenigstens nicht mehr verpönt, Kindererziehung anzusprechen. Und dass viele junge Eltern damit alleingelassen sind.
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Politiker bringen schon seit einiger Zeit das Thema Werte aufs Tablett und meinen damit unter anderem, dass unser menschliches Zusammenleben deutlich besser funktionieren könnte, wenn wir gewisse Eigenschaften erlernen: Verantwortung, Disziplin, Rücksichtnahme, Mitgefühl. Sie haben sicher recht. Allerdings dürfte der Hintergedanke in der Politik bei der Forderung nach Werten sein, dass es den Staat weniger kostet, wenn die Menschen zusammenhalten, füreinander Verantwortung übernehmen und sich so benehmen, dass sie anderen möglichst wenig zur Last fallen.
Erziehung bedeutet, Werte zu vermitteln und Grenzen abzustecken. Die Grenze im Handeln sollte spätestens da sein, wo mein Nächster oder auch ich selber zu Schaden kommen. Klingt einleuchtend, wird aber leider nicht so selbstverständlich eingehalten.
Die Generation unserer Großeltern verstand unter Erziehung, die Kinder nach den Vorstellungen der Eltern und anderer Erziehungsberechtigter - wenn nötig, auch mit Gewalt - zu formen. Was die Kinder wollten, war nicht gefragt. Heute wissen wir, dass Zwang und Gewalt den Menschen nicht zum Guten verändern. Die nächste Generation verwarf diese Art der erzieherischen Gewalt und glaubte, dass die Kinder sich am besten entwickeln würden, wenn man ihnen so früh wie möglich ihren Willen ließ. Auch dieser Weg hat sich als nicht optimal herausgestellt. Wer seine Grenzen nicht kennt, ist eine Zumutung.
Die jetzige Generation ist verunsichert. Man lernt nirgendwo, wie Erziehung funktioniert.
Wer sich einen jungen Hund anschafft, muss mit ihm in die Hundeschule oder zumindest viel darüber nachlesen, wie aus dem Welpen ein "guter" Hund werden könnte. Kindererziehung ist nirgendwo ein Thema. Junge Eltern sind alleingelassen und haben oft selbst keine Vorbilder oder Berater. Geschwister, die miterziehen könnten, indem sie etwa Teilen und Rücksichtnahme einfordern und vermitteln, fehlen in vielen Familien, ebenso Großeltern als Regulativ. Und so wächst der kleine Mensch ziemlich schutzlos ausgeliefert mit den Einstellungen auf, die Medien, Werbung, Industrie und auch der Staat liefern.
Diese Einstellung lautet: Ich bin der Größte. Der Mensch steht über allem und darf den Rest der Schöpfung ausbeuten. Es steht uns alles zu. Der Staat kommt für alles auf. Wenn etwas schief läuft, ist die Gesellschaft schuld. Fatale Ansichten!
Erziehung sollte oder könnte dem Menschen sagen: Du bist nur einer unter vielen, wesentlich zwar, ganz wichtig und geliebt, aber nicht mehr und nicht weniger als alle anderen. Behandle deine Mitmenschen und deine Umwelt mit Rücksicht und Mitgefühl! Übernimm Verantwortung und mach das Beste aus deinen Talenten! Setz dich ein! Schau nicht weg! Achte die Grenzen der anderen!
Klingt das nicht wunderbar? Wäre die Gesellschaft nicht herrlich, würden wir Menschen so denken und danach handeln? Vielleicht erreichen wir so eine Gesellschaft nie, aber wir können anfangen, jeder bei sich und bei seinen Kindern. Erziehen wir uns und unsere Kinder zu wirklich menschlichem Verhalten. Wir haben es in der Hand.