Der Weg zu mehr Autonomie funktioniert nur mit den Pädagogen.
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Wien. Zum Stichwort Schulautonomie kommen den meisten vor allem die schulautonomen Tage in den Sinn, also jene schulfreien Tage, die Schulen selbst bestimmen können. Doch das war’s dann auch schon mit der Entscheidungshoheit der Schulleiter, und von vielen Seiten wird mehr Autonomie im österreichischen Schulsystem gefordert. Ein oft herangezogenes Beispiel lautet, Direktoren sollten ihr Team, also die Lehrer, selbst aussuchen können. In Österreich ist die Schulautonomie bei der Vergabe von Ressourcen im OECD-Vergleich sehr gering, beim Lehrplan liegt es im hinteren Mittelfeld. Doch ist Schulautonomie wirklich ein Rezept auf dem Weg zu einem besseren Bildungssystem? Guillermo Montt, Soziologe und Statistiker bei der OECD, forscht zu Ungleichheiten in Bildungssystemen und analysiert die Pisa-Ergebnisse. Bei einem Bildungssymposium in Wien sprach er vor Lehrern, aber auch mit der "Wiener Zeitung", über Schulautonomie.
"Wiener Zeitung":Schneiden Länder mit viel Autonomie bei Tests wie Pisa besser ab?
Guillermo Montt: Sie schneiden besser ab als andere. Das heißt aber nicht, dass, wenn Österreich mehr Autonomie bekommt, es direkt besser abschneiden wird. Es gibt viele Variablen.
Was ändert sich, wenn die Schulen mehr Autonomie bekommen?
Alles. Wenn Schulleiter entscheiden, wer unterrichtet, ändert das ihre Beziehung zu den Lehrern, die Konkurrenz zwischen den Lehrern und zwischen den Schulen wächst. Wenn Lehrer auswählen, an welchen Schulen sie unterrichten wollen, ändert sich ihre Verteilung.
Und das nicht immer zum Besseren: In Ihrem Heimatland Chile ist das Schulsystem 30 Jahre nach der Einführung von mehr Autonomie sehr segregativ.
Ja, weil es genau so gemacht wurde, wie man es nicht machen sollte. Wir hatten ein zentralistisches System, jetzt liegt die Kompetenz bei den Gemeinden. Die Schulen waren gewohnt, dass ihnen gesagt wird, was zu tun ist, und plötzlich mussten sie selbst Entscheidungen treffen. Heute besuchen Kinder aus der Mittelschicht andere Schulen als Kinder aus ärmeren Familien. Wenn man weiß, wo jemand zur Schule ging, weiß man, welchen sozio-ökonomischen Hintergrund er hat.
Dabei würden benachteiligte Schüler von gemischten Klassen profitieren. Gute Schüler nicht?
Ihre Leistung leidet, da die Lehrer oft nicht bereit sind für Diversität. Wenn die Voraussetzungen stimmen und die Lehrer unterstützt werden, leidet ihre Leistung nicht. Das ist eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.
Wie kann Schulautonomie sinnvoll eingeführt werden?
Wie es in Korea passierte, ist ein gutes Beispiel: Es gab einen langfristigen und kohärenten Plan, den Schulen wurde nach und nach mehr Autonomie gegeben, sie wurden unterstützt.
In Österreich werden Ressourcen an den Schulen gleichmäßig verteilt, aber Schulen mit vielen Kindern mit migrantischem Hintergrund bräuchten mehr Lehrpersonal. Wäre es mit mehr Autonomie möglich, sie besser auszustatten?
Das kann so oder so passieren: Gibt es einen Topf an Mitteln, um die sich Schulen bewerben können, würde ihnen das mehr Autonomie geben. Oder das Ministerium hat eine Datenbank und sieht, welche Schule mehr Geld braucht, und trifft die Entscheidung.
Die Schulkompetenz in Österreich soll vom Bund zum Land wandern. Ist das sinnvoll?
Das kommt darauf an. In der Schweiz macht es Sinn, dass es regional gesteuert wird. Ich kenne das österreichische System zu wenig.
Wie beurteilen Sie die zentrale Reifeprüfung, die in Österreich 2015/2016 kommt?
Es ist ein starkes Signal, was von Schülern und Lehrern erwartet wird. Für die Schule geht es um Reputation, es ist eine Art Rechenschaft. Die Kontrolle wird verlagert: Egal wie die Lehrer es machen, die Schüler sollen den Test schaffen.
Birgt Schulautonomie die Gefahr, dass Lehrer machen, was sie wollen?
Ich denke nicht. Die meisten wissen, was zu tun ist, und tun das auch. Vielleicht braucht es Supervision und Unterstützung für einige. Lehrer muss man involvieren, denn sie unterrichten in den Klassenzimmern. Wenn sie die Türe schließen, wissen wir nicht, was sie tun. Es funktioniert nur, wenn man sie an Bord holt.
Wie holt man sie an Bord?
Indem man ihnen zeigt, wie das Schulsystem mit mehr Autonomie aussehen wird und welche Möglichkeiten sie dadurch haben. Sie müssen von Anfang an dabei sein.
Zur Person
Guillermo Montt
Der 32-jährige Soziologe und Statistiker stammt aus Chile. Für die OECD forscht er zu Pisa und Ungleichheiten im
Bildungssystem.