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"Es braucht ein anderes Klima"

Von Katharina Schmidt

Politik

Migrationshintergrund trotz österreichischem Uni-Diplom als Problem.


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Wien. Zig erfolglose Bewerbungen, vergleichsweise wenige Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und dort dann das ständige Gefühl, unerwünscht zu sein oder nicht zu genügen. Das ist die Situation vieler Jungakademiker in Österreich - und zwar ganz besonders jener mit Migrationshintergrund. Laut Statistik Austria arbeiten 28 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich unter ihrem Ausbildungsniveau. Und das trifft nicht nur die gern beispielhaft angeführten indischen Ärzte, die sich ihre Brötchen wegen der nicht funktionierenden Anerkennung ihrer Diplome als Taxifahrer verdienen müssen.

Auch Akademiker, die in Österreich geboren wurden oder hier zumindest aufgewachsen sind und einen Abschluss einer österreichischen Universität haben, sind oft mit Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt konfrontiert, wenn sie einen ausländisch klingenden Namen oder eine andere Staatsbürgerschaft haben. Das hat eine neue Studie des Instituts für Soziologie der Uni Wien unter Roland Verwiebe ergeben. Erstmals wurden Berufseinstieg und Karriereverläufe von Absolventen der Uni Wien mit und ohne Migrationshintergrund miteinander verglichen. Insgesamt wurden 800 Absolventen mit standardisierten Fragebögen befragt, dazu wurden 25 qualitative Interviews durchgeführt - mit ernüchternden Ergebnissen. "Natürlich wird der Einstieg in das Berufsleben auch für Nichtmigranten immer schwieriger", sagt Verwiebe zur "Wiener Zeitung". Nachsatz: "Aber Menschen mit Migrationshintergrund haben es noch viel schwerer."

So müssen Letztere öfter Bewerbungen schreiben, damit sie überhaupt zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Selbst wenn das klappt, ist die Chance, einen ausbildungsadäquaten Job zu bekommen, bei migrantischen Akademikern deutlich niedriger als bei nichtmigrantischen. "Es gibt systematische Nachteile aufgrund des Migrationshintergrunds", sagt Verwiebe: Deutlich mehr Akademiker aus dieser Gruppe sind nur geringfügig beschäftigt, es gibt mehr Selbständige, freie Dienstnehmer und Arbeitnehmer auf Werkvertragsbasis. Bei Angestellten mit Vollzeitjobs haben Migranten oft eher nur eine befristete Anstellung, sie befinden sich generell öfter in prekären Dienstverhältnissen.

Nachteile für Migranten im öffentlichen Dienst

Auch im öffentlichen Dienst sieht Verwiebe signifikante Nachteile für Menschen mit Migrationshintergrund. "Wenn dort Migranten aufgenommen werden, dann eher in den niedrigqualifizierten Bereichen", sagt er. Angesprochen auf die Tatsache, dass die (EU-)Staatsbürgerschaft Voraussetzung für den öffentlichen Dienst ist, sagt der Soziologe: "Das ist eine politische Frage, aber das kann nicht in Stein gemeißelt sein, man muss darüber neu nachdenken." Es könne nicht sein, dass der Staat als wichtiger Arbeitgeber nicht offen für Menschen ist, die nicht nur selbst viel in ihre Ausbildung investiert haben, sondern deren Ausbildung auch die Steuerzahler - so wie bei allen Akademikern - viel gekostet hat.

Generell steigt der Anteil der Akademiker mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft: Hatten 1971 noch 4,4 Prozent der Ausländer einen tertiären Abschluss, waren es 2012 schon 20,4 Prozent. Menschen mit Migrationshintergrund können vor allem in internationalen Unternehmen reüssieren, wo dies nicht als Makel, sondern positiv - als interkulturelle Kompetenz - wahrgenommen wird. Doch auch das birgt Gefahren: Wenn ein Bankangestellter mit türkischem Migrationshintergrund nur noch türkischsprachige Kunden bekommt, besteht die Gefahr ethnischer Enklaven und der Reduktion auf den Migrationshintergrund.

Verwiebe fordert, die wachsende Gruppe Menschen, die trotz schlechterer Startbedingungen viel erreicht haben, mit offenen Armen zu empfangen und nicht aus dem Arbeitsmarkt auszuschließen. "Es braucht ein anderes Klima", sagt er.

Anonyme Bewerbungen als erster Schritt

Ein erster Schritt in diese Richtung könnten anonymisierte Bewerbungen sein. In den USA oder in Deutschland hat man mit Bewerbungsformularen ohne Angaben zu Aussehen, Geschlecht, Migrationshintergrund und Religion gute Erfahrungen gemacht. "Anonymisierte Bewerbungen würden schon beim Zugang zur Arbeitswelt vieles erleichtern", sagt Birgit Gutschlhofer von der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Diese berät seit 2005 auch Opfer von Diskriminierungen in der Arbeitswelt aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit. Die Zahl der Beratungen ist von 145 (2005) auf 267 im Jahr 2012 gestiegen. Immer noch fänden sich in Stelleninseraten versteckte Diskriminierungen - etwa werden "perfekte Deutschkenntnisse" als Voraussetzung für Jobs genannt, in denen die Sprachkompetenz keine Rolle spielt. Aber immerhin: Die Existenz des Gleichbehandlungsgesetzes hat sich mittlerweile auch bei potenziellen Arbeitgebern herumgesprochen, sagt Gutschlhofer.