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"Es braucht emotionale Botschaften"

Von Werner Reisinger

Politik

Autor Owen Jones: Den Emotionen nur Fakten gegenüberzustellen, wird den Rechtspopulismus nicht aufhalten.


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Wien. Nichts Neues: den Sozialdemokratien in Europa geht es alles andere als blendend. In den nordeuropäischen Staaten werden sie von den Rechtspopulisten aufgerieben, im Süden laufen ihnen neue soziale Bewegungen den Rang ab.

Die "Wiener Zeitung" hat den britischen "Guardian"-Kolumnisten und Autor Owen Jones getroffen und mit ihm über neue Strategien gegen den Rechtspopulismus, soziale Verdrängungskämpfe und linken Populismus gesprochen.

"Wiener Zeitung": Auf den Sieg Alexander Van der Bellens bei der Präsidentschaftswahl hat die internationale Öffentlichkeit mit Erleichterung reagiert. Bei seiner Party am Wahlabend herrschte sogar eine euphorische Stimmung: Jetzt geht es mit der FPÖ bergab, so der Tenor. Ist die "politische Uhr wieder auf null" gestellt, wie es ein Van-der-Bellen-Wahlkämpfer ausdrückte?

Owen Jones: Dieser Wahlsieg ist wichtig und gibt Grund zum Optimismus. Der Tenor des Jahres 2016 war der unaufhaltsame Vormarsch der Rechtspopulisten in den verschiedenen Ländern. Brexit und Trump haben das international befeuert. Daher gab es die Erwartung, dass Norbert Hofer gewinnt. Nun kann man sagen: "Schaut, hier haben sie die Rechten aufgehalten" - das war ein wichtiger Moment, psychologisch gesehen. Der Narrativ von der Unaufhaltsamkeit wurde ein Stück weit gebrochen, das ist vor allem hinsichtlich der Wahlen in Frankreich wichtig. In der Politik geht es oftmals nicht darum, wie die Dinge wirklich sind, sondern wie sie aussehen. Wenn es so aussieht, dass die Rechte an Momentum verliert, dann hat das ganz sicher auch Auswirkungen.

Natürlich: 46 Prozent für einen extremen Rechten in einem fortschrittlichen, modernen europäischen Land wie Österreich ist ein desaströses Signal. Auch wenn es wichtig ist, den Erfolg zu feiern: Er liefert keinen Grund, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Fast die halbe österreichische Bevölkerung hat einen extrem rechten Kandidaten gewählt. Das schönzureden ist gefährlich.

Viele Beobachter sind der Meinung, dass die heterogene Wahlbewegung, die Van der Bellen zum Sieg verholfen hat, ein Modell für andere Länder sein kann.

Ich habe die letzten Tage mit vielen jungen und engagierten Leuten aus der SPÖ und aus der Van-der-Bellen-Wahlbewegung gesprochen. Viele würden sagen: Diese Koalition war wichtig. Leider vergessen manche, dass es "nur" um ein repräsentatives Amt ging. Dieses Zweckbündnis wird weder von Dauer sein, noch ist es erstrebenswert. Linke und Konservative zusammen? Das geht bei einem Nationalratswahlkampf, wie er in Österreich bevorsteht oder wohl schon im Gange ist, nicht.

Welche Strategien braucht es also für die Sozialdemokratie, um gegen die Rechte erfolgreich zu sein? Manche Vordenker meinen, man solle auf die Mittelschichten fokussieren, nicht auf sozial Schwächere, die ohnehin schon zahlreich nach rechts abgewandert sind.

Das hängt davon ab, wie man Mittelschicht und Unterschicht definiert. In Spanien sehen sich 80 Prozent der Menschen selbst als der Mittelschicht zugehörig. Der Begriff Klasse ist mit starken Identitätsfragen und Projektionen verbunden. Podemos, die neue Linke in Spanien, hat es vermieden, den Begriff "Arbeiterklasse" zu verwenden. Jetzt trägt zwar mein erstes Buch den Untertitel "Die Dämonisierung der Arbeiterklasse", natürlich spielt "Klasse" eine Rolle. In England hat die Parole "Wir sind alle Mittelschicht" zu einer Dämonisierung der sozial Schwachen geführt.

Sicherheit, Jobs, öffentliche Infrastruktur, Wohnen - das wollen sowohl Menschen in der Unter- wie auch in der Mittelschicht, denn darauf bauen sie ihr Leben auf. Die Generation der heute 20-Jähringen wird erstmals einen niedrigeren Lebensstandard haben als ihre Eltern, und das betrifft sowohl die Mittel- als auch die Unterschicht. Ebenso die neuen Selbständigen, die nach sozialer Sicherheit verlangen. Das ist ein Thema, über das die Linke intensiv sprechen sollte. Gleichzeitig muss sie aber auch über die Älteren sprechen, deren soziale Sicherheit ebenso gefährdet ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mittelschicht durch den historischen Erfolg der Sozialdemokratien zu einem integralen Baustein der Parteien geworden ist. Die Frage "entweder Mittel- oder Unterschichten" stellt sich also so gesehen nicht.

"Die da oben sind fleißig, gescheit und talentiert. Die da unten sind demnach dumm, faul und unfähig" - Dämonisierung ist das Rückgrat jeder Gesellschaft der Ungleichheit. Wenn es derartige Vermögens- und Einkommensunterschiede gibt - und die gibt es ja -, dann müssen jene, die von dieser Ungleichheit profitieren, das irgendwie rechtfertigen. Auf diese Weise sichern sie den Status quo ab.

Den Konservativen und Wirtschaftsliberalen ist es so gelungen, Mittel- und Unterschicht gegeneinander aufzubringen. Die Rechte nutzt das aus.

Die Linke übt sich in Selbstkritik: Es sei eine gewisse Arroganz bei Linken aus der Mittelschicht gegenüber den sozialen Problemen eingerissen, die viele Wähler in die Arme der Rechten treibt.

Das liegt das auch daran, dass Leute aus den Unterschichten kaum mehr in den linken Parteien vertreten sind. Eine Demokratisierung der progressiven Parteien ist dringend notwendig. Gerade jetzt, wo die Rechtspopulisten so massiv in das alte Wählermilieu einbrechen, wäre es für alle Parteien wesentlich, dafür zu sorgen, dass wieder mehr Leute aus der Arbeiterklasse Positionen in der Partei bekleiden, auch höhere Positionen. Sonst haben Sie diese Mittelklasse-Typen im Designeranzug, die in den Arbeitervierteln an die Türen klopfen, als wären sie Kolonialisten. Sie verstehen die Lebensrealitäten dort nicht.

Klingt nach "zurück an die Stammtische". Rund um die Wahl ist in Österreich eine Debatte über Linkspopulismus entbrannt. Die Grünen-Abgeordnete Sigrid Maurer meinte dazu: "Wir brauchen keinen Populismus, sondern eine neue Ernsthaftigkeit in der Politik." Linker Populismus müsse sich besonders radikal verorten, weil der rechte die Mitte anspricht. Richtig?

Über linken Populismus zu sprechen macht sehr wohl Sinn. Die Debatte wird nur völlig verkürzt geführt. Viele Leute sind eben verärgert, und sie haben gute Gründe dazu - ihre ökonomische Situation wird immer prekärer. Rechter Populismus sagt, "ihr habt Recht, aber ihr solltet auf die Zuwanderer wütend sein. Die Linke ist schuld daran." Die Rechte definiert die "Elite" neu. Das passiert in vielfältiger Weise. Es geht dabei nicht um wirtschaftliche Macht, zum Beispiel, es geht darum die Elite als jene zu definieren, die in den Städten wohnen, die den Durchschnittsbürger, die einfache Leute hassen, die ihre Lebenswelt zerstören wollen, über Zuwanderung und "Multi Kulti".

Die Linke sollte keine Angst vor den richtigen Feinbildern haben und nicht müde werden, diese zu benennen. Die Banken sind schuld an der Wirtschaftskrise. Die Reichen vermeiden Steuern. Die Großkonzerne zahlen zu niedrige Löhne, sodass die Angestellten nicht davon leben können. Das hat auch nichts mit fehlender Ernsthaftigkeit zu tun, das sind Fakten. Diese Dinge passieren nicht einfach so wie das Wetter.

Auf die Banker schimpfen - denken Sie, dass das reichen wird? Wieso hat die Krise von 2008 fast nur der Rechten genutzt?

Der US-Linguist George Lakoff sagt, die Rechte ist überall erfolgreich, weil sie auf Emotionen setzt. Die Linke ist im Nachteil, weil sie versucht, dem mit rationalen Argumenten zu begegnen, mit Fakten und Statistiken. Wir sind aber keine Roboter. Sehen sie sich in Ihrem Umkreis um. Lesen Sie linke Zeitungskommentare - häufig werden Emotionen Fakten gegenübergestellt, obwohl das nicht funktioniert. Das Thema Sozialmissbrauch wird in Großbritannien heftig diskutiert. In den Boulevardblättern und im TV ist die Rede von Sozialhilfebeziehern, die in großen Häusern leben und viele Kinder haben. Offiziellen Zahlen zufolge betreiben nur 0,7 Prozent der Sozialhilfebezieher eigentlichen Missbrauch. Da bringt es nichts, wenn Klugscheißer wie ich mit Zahlen kommen. Die Linke muss also neue, emotionale Narrative und Botschaften formulieren. Wir sind eben auch emotionale Menschen. Mit Fakten alleine werden künftig keine Wahlen mehr gewonnen. Die Rechte hat das schon lange kapiert.

Und auf Fakten verzichten?

Keineswegs. Es ist wichtig zu sagen, dass kollektive Probleme kollektive Lösungen brauchen. Rein individuelle Schuld an sozialem Abstieg gibt es nicht. Auch gibt es keinen Beweis, dass ein starker Sozialstaat zu wirtschaftlicher Ineffizienz führt - blicken Sie etwa nach Schweden.

Owen Jones (32)
Aufgewachsen in Stockport bei Manchester in einer Arbeiterfamilie, Kolumnist für den "Guardian" und "New Statesman", Mitglied des National Advisory Panel for the Centre for Labour and Social Studies.
Bücher: "Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse" (2012), "The Establishment" (2015).