Hat der Händler Jerome Kerviel, der der Société Générale Milliardenverluste einbrachte, doch nicht so im Verborgenen gehandelt, wie die Bank immer beteuert? Eine ehemalige Ermittlerin machte nun eine brisante Aussage.
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Paris. Ist es "die Zeugenaussage, die alles ändert" und die Affäre um den Ex-Trader Jerome Kerviel erneut "explodieren" lässt? Das behauptet das französische Online-Portal "Mediapart", das für seine investigativen Recherchen bekannt und gefürchtet ist. Demnach hat die Polizeibeamtin Nathalie Le Roy, die vor sieben Jahren in dem Skandal um Milliarden-Verluste bei der Société Générale ermittelte, bei einer Befragung durch einen Untersuchungsrichter Anfang April erklärt, sie sei damals von der Bank instrumentalisiert worden. Eine unabhängige Untersuchung habe nicht stattgefunden.
Warum sie so lange geschwiegen hat? "Ich wollte nicht in den Gang der Justiz eingreifen", wird die Frau zitiert, die ihren Posten vor einigen Monaten verlassen hat. "Aber ich gebe zu, dass es mich erleichtert, jetzt deswegen vorgeladen zu sein." Sollte sie die Wahrheit sagen - es wäre der Skandal nach dem Skandal für die Société Générale.
Kerviel genießtviele Sympathien
Das französische Kreditinstitut hatte im Jänner 2008, kurz nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise, einen Rekord-Verlust von 4,9 Milliarden Euro verzeichnet, der der Société Générale durch die Finanzspekulationen eines einzigen Händlers, Jérôme Kerviel, entstanden war. Der damals 31-Jährige hatte ohne Genehmigung Handelspositionen im Wert von bis zu 50 Milliarden Euro aufgebaut und seine Machenschaften unter anderem mit gefälschten E-Mails vertuscht.
Ein Gericht verurteilte ihn zu einer Strafe von fünf Jahren Haft wegen Veruntreuung, Fälschung und betrügerischer Manipulation, davon zwei auf Bewährung. Außerdem sollte er die kolossale Summe von 4,9 Milliarden Euro zurückzahlen. Den Schadensersatz hob ein Berufungsgericht später wieder auf und wies auf die Fehler im Kontrollsystem der Société Générale hin, die den Betrug erst ermöglicht hatten. Ein neuer Prozess im Jänner kommenden Jahres soll die Verantwortlichkeit klären.
Auch wenn die Bank eine Strafe in Höhe von vier Millionen Euro erhielt, verwarnt wurde und der damalige Chef Daniel Bouton gehen musste, galt bislang Kerviel als alleiniger Schuldiger für den Milliarden-Verlust, der seinen früheren Arbeitgeber fast in den Ruin trieb. Er selbst hat hingegen immer versichert, dass seine Vorgesetzten Bescheid wussten und ihn gewähren ließen, solange er Gewinne einfuhr - dabei gehörte Kerviel nicht einmal zur Riege der mit enormen Boni geköderten Star-Trader, sondern galt als kleines Rädchen.
Man sei zu den hochriskanten Geschäften regelrecht angefeuert worden, schrieb er in seinem autobiografischen Buch "Das Räderwerk". Er gibt darin zwar zu, einem irrationalen "Rausch der Zahlen" verfallen zu sein. Doch vor allem klagt er das kranke System an.
"Du bist eine gute Prostituierte", sollen die Chefs nach einem erfolgreichen Tag gelobt haben. "Sie konnten unmöglich nicht bemerkt haben, was ich tat", versicherte Kerviel vor Gericht und in den Medien, die er für sich zu nutzen wusste, ob mit seinem Buch oder einem Pilgermarsch von Rom nach Frankreich - wo er im Anschluss festgenommen wurde. Im September 2014 kam er mit der Auflage frei, eine elektronische Fußfessel zu tragen. In der französischen Öffentlichkeit hat er viele Sympathien als Sündenbock, der für die Fehler einer aus den Fugen geratenen Finanzbranche bezahlt.
Le Roys Aussage stützt nun Kerviels Version: Erst habe sie das "Gefühl", später die "Gewissheit" gehabt, dass manche seiner Vorgesetzten informiert waren. So habe ein ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung für operative Risiken ausgesagt, bereits im April 2007 mehrere hochrangige Manager gewarnt - seine E-Mail versah er demnach "mit einem Totenkopf, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen". Allerdings konnten die betreffenden Nachrichten nicht gefunden werden.
Ein Steuernachlasshalf der Bank
Die Société Générale, behauptet Le Roy, habe die Ermittlungen beeinflusst, indem sie selbst alle Dokumente lieferte und die Mitarbeiter auswählte, die als Zeugen aussagten. Demgegenüber zitiert die Nachrichtenagentur Reuters eine polizeiliche Quelle, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellt: Ihre "zweifellos ehrlichen Erklärungen" seien "mit größter Vorsicht zu behandeln". Auch versichert der Anwalt der Société Générale, Jean Veil, die Bank habe stets für totale Transparenz gesorgt und Kerviel habe bei seiner ersten Befragung zugegeben, alleine und unbemerkt gehandelt zu haben. Der 38-Jährige behauptet, die Tonaufnahmen von der ersten internen Befragung, die die Bank der Justiz aushändigte, seien lückenhaft und nachbearbeitet. Le Roy zufolge arbeiteten die Ermittler aus Zeitnot mit Manuskripten, die die Société Générale angefertigt hatte. Eine echte Expertise über die tatsächlich von Kerviel verursachten Verluste habe es nie gegeben.
Die Bank hatte erklärt, Kerviels Positionen so schnell wie möglich verkauft zu haben, um den Schaden zu begrenzen. Später bestätigte sie, dass sie dank eines Steuernachlasses 1,7 von den 4,9 Milliarden Euro zurückerhalten hat.