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"Es existieren zwei Realitäten"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Greenpeace-Experte für Energie im Gespräch über den Atomausstieg. | Ausbau der Strom-Leitungen bleibt unumgänglich. | "Wiener Zeitung": Energie gilt für die breite Masse als trockenes Thema. Wenige Leute kennen sich aus, und der Grundtenor ist, man will es eigentlich auch gar nicht so genau wissen. | Sven Teske: Obwohl Energie das Lebensblut eines Landes ist. Aber man spricht immer nur dann darüber, wenn man es nicht hat. Und dabei verlassen wir uns jedes Jahr immer ein bisschen mehr auf Strom.


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Vor vierzig Jahren, wenn man keinen Strom hatte, ging das Licht aus. Heute kommt man zum Teil nicht einmal mehr aus dem Büro heraus, denn der Türschließer funktioniert über einen Computer. Es muss nicht jeder wissen, was der Unterschied zwischen Kilowatt und Kilowattstunde ist, auch wenn der eklatant ist. Aber was man wissen sollte, ist, wie viel man benötigt und woher das kommt.

Sie leiten bei Greenpeace den Bereich für Erneuerbare Energien (EE) und entwerfen in 50 Büros Energieszenarien weltweit. Jetzt arbeiten Sie gerade an einem für Japan. Will Japan überhaupt aus der Atomenergie aussteige? Einige Umfragen behaupten das Gegenteil.

Es gibt inzwischen eine politische Auseinanderssetzung. Wir erwarten, dass sie im Juni oder Juli anfangen werden, EE besser zu fördern und Einspeisetarife vorzulegen. Dann wird der Ausbau recht schnell vorangehen, die können ja dank der Vulkane vor allem mit Geothermie sehr viel machen. Offiziell wird das natürlich so nicht gesagt, da geht jetzt auch ein bisschen darum, das Gesicht zu wahren. Japan hat schließlich jahrelang auf AKW gesetzt. Doch von den 54 AKW in Japan werden wahrscheinlich in den nächsten Monaten 40 abgeschaltet werden.

Ist da nicht viel Wunschdenken seitens Ihrer Organisation dabei?

Japan könnte, rein technisch gesehen, in 15 Jahren aussteigen. Deutschland hätte es, statt wie jetzt von der Koalition beschlossen bis 2022, bis 2015 schaffen können.

Es hat geheißen, Frankreich fährt seine Atommeiler hoch, um den deutschen Ausfall auszugleichen?

Das hängt von den Netzen ab, ob Frankreich mal mehr oder weniger liefert. Wenn man sich die Gesamtbilanz ansieht, ist Deutschland nach wie vor Stromexporteur. 2009 hat Deutschland, im heißen Sommer, sehr viel Solarstrom nach Frankreich exportiert, weil die ihre AKW nicht mehr kühlen konnten, da die Flüsse zu niedrig waren.

Auch die Tschechen haben behauptet, dass sie jetzt Atomstrom nach Deutschland liefern.

Das ist verbale Kraftmeierei. Wenn dieses Land seinen gesamten Atomstrom nach Deutschland liefern würde, dann wären das gerade mal 6 Prozent vom deutschen Strom. Das ist nichts. Mal abgesehen davon, dass sie dann selber keinen Strom hätten.

Wie können Sie das Laien erklären, dass Deutschland kein Versorgungsproblem hat, obwohl so viele AKW abgeschaltet worden sind?

Weil Deutschland schon vor zehn Jahren begonnen hat, im großen Stil EE zuzubauen und uns das letztendlich zu Stromexporteuren gemacht hat. Die Erzeugerkapazitäten sind schon da. Das, was fehlt, sind Leitungen. Letztes Jahr mussten wir sogar im Norden Windkraftwerke abschalten. Da hatten wir an windigen Tagen zeitweise 200 Prozent Strom und mussten sehen, wie wir den wegbringen. Denn die AKW sind noch gelaufen, die sich aber, anders als Windanlagen, nicht so schnell herunterfahren lassen.

Die Erzeugerkapazitäten sind also schon da?

Ja, das ist kein Problem. Es ist vielmehr die Frage, wie schnell kriegen wir die Leitungen. Und wir brauchen Speicherkapazitäten, Speicherkraftwerke, von denen Österreich ja sehr viele hat. Das wäre auch toll, wenn die österreichischen Pumpspeicherkraftwerke keinen importierten Atomstrom zum Hochpumpen des Wassers verwenden würde.

Österreich ist Stromimporteur. Und da ist das Argument, der Strom habe doch "kein Mascherl".

Das kann man physikalisch sagen, dass stimmt auch, aber man kann auch Telefongespräche verfolgen. Und so kann man auch Energielieferungen nachverfolgen. Und diese Speicherkapazität ist wirklich notwendig, um EE abzufedern. Bei der Energiewende ist man eigentlich schon gut unterwegs. In Europa kamen vergangenes Jahr 60 Prozent der neuen Kraftwerksleistung aus EE. Der Rest ist im Prinzip Gas mit rund 5 Prozent Kohle.

Frankreich bezieht nach wie vor 70 Prozent seiner Energieversorgung aus AKW.

Unter den jüngeren Franzosen gibt es aber ein Umdenken. Letztes Jahr hat in Frankreich nur ein Einziger die Ausbildung zum AKW-Ingenieur absolviert, denn wer will das denn noch werden? Die werden personal-mäßig schon ausgestiegen sein, bevor sie es offiziell tun. Wir sehen hier, dass wir im Prinzip zwei Realitäten haben. Die eine ist die gerade geschilderte, auf der anderen Seite steht jene Realität, die Politiker uns vermitteln, dass wir die Option zwischen Atom und Kohle haben. In der Wirtschaft ist es schon lange so, dass die Investitionen Richtung Gas oder EE gehen. Das liegt zum Teil auch daran, dass wir das Emissionshandelsmodell haben, dass Kohlekraftwerke langfristig ohne starke Subventionen und Staatshilfen überhaupt nicht finanzierbar sind. Es gibt viele Leute, die akzeptieren Atomkraft oder Kohlekraft, weil sie denken, es geht nicht anders.

In Österreich ist es so, dass man zwar Erneuerbare Energie gut findet, aber in den Fluss XY kein Kraftwerk gestellt werden kann oder eine Leitung nicht verlegt werden darf, weil sofort der nächste Bürgerprotest dasteht.

Auf Englisch heißen diese Leute "Nimby" (Ein Akronym aus "Not in my back yard", Anm.) . Ich bin für Windkraft, aber nicht hier. Aber die Kraftwerke kommen nun mal näher zu den Leuten, weil sie dezentraler werden. Ist es besser, ein paar Windräder zu sehen, oder nehme ich das Risiko auf mich, wie die Leute in Fukushima nie wieder nach Hause zu können?

Wie regelt das Deutschland?

Ich komm aus Friesland an der Nordküste. Bei uns war der Windpark umstritten. Der Grund war, dass die Investoren aus München gekommen sind. "Was wollen die Bayern bei uns", hieß es da. Dann hat man gesagt, okay, machen wir es mit lokalen Investoren - Niederösterreich hat übrigens bei einer Anlage ein ähnliches Beteiligungsmodell. Und dann war in Friesland von den Vögeln, die angeblich gestört werden, keine Rede mehr. Der Windpark wurde gebaut. Man muss die Bürger nur beteiligen. In Deutschland wurde 1997 beschlossen, dass alle Gemeinden ein Prozent ihres Landes für EE ausweisen müssen. Denen gab man ein Jahr Zeit, sich zu überlegen, wo und was, sonst würde Berlin - oder damals noch Bonn - entscheiden. Und bevor die Hauptstadt entscheidet, haben sie es dann lieber selber gemacht.

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