Buenos Aires - "Es werden Ströme von Blut fließen, wenn das Volk auf die Straße geht und uns verteidigt", sagte die Peron-Witwe und argentinische Präsidentin Isabel Peron bei ihrer Festnahme durch Putschmilitärs am 24. März 1976. Die Prophezeiung sollte sich als hellsichtig und verblendet zugleich erweisen. Die Folter- und Mordschergen der Militärjunta machten in den folgenden sieben Diktaturjahren Jagd auf jeden, der ihnen politisch links oder sonst aufmüpfig erschien. Systematisch wurde die pluralistische, liberale und rechtsstaatliche Ordnung zerstört. Nicht nur linke Terroristen, sondern vor allem linke jugendliche Idealisten verschwanden für immer in den Folterkellern der Militärs. Menschenrechtler gehen von bis zu 30.000 Toten aus.
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Das Volk aber ging nicht auf die Straße, sondern duckte sich. Ein Vierteljahrhundert später liegen die Wunden dieser dunklen und traurigen Jahre noch immer offen, und die Täter sind weitgehend auf freiem Fuß. Die kleinen Täter wurden nie angeklagt, und die Junta- Mitglieder in spektakulären Prozessen nach dem Ende der Diktatur zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt - und kurz darauf begnadigt.
Viele Argentinier mögen die Nachricht vom unblutigen Putsch unter Leitung von Generaloberst Jorge Rafael Videla am 24. März 1976 zunächst sogar mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen haben. Die von politischer Gewalt geprägten frühen 70er Jahre hatten viele Menschen zermürbt und empfänglich für den Ruf nach einer harten Hand gemacht.
Dennoch waren die Militärs sorgsam bemüht, ihr furchtbares Treiben geheim zu halten. "Nein, nein, Erschießungen waren nicht möglich. Die argentinische Gesellschaft hätte (öffentliche) Erschießungen nicht ertragen", wird Videla von den argentinischen Journalisten Maria Seoanne und Vicente Muleiro in ihrem zum 25. Jahrestag erschienen Buch "Der Diktator" zitiert.
Die Greiferbanden schlugen überwiegend nachts zu. Wer auf ihren Listen stand und nicht rechtzeitig ins Ausland fliehen konnte, war so gut wie tot. Aus dem Bett geprügelt oder auf offener Straße verschleppt, fanden sich die Opfer in der Hölle der zeitweise mehr als 300 geheimen Folterzentren wieder. Dort bezeichneten sich die Täter als "Gott" und ihre Opfer als "Nichts", als Verschwundene. Nach entsetzlichen Folterqualen standen am Schluss die Erschießung oder der Abwurf in betäubtem Zustand aus Flugzeugen ins Meer.
Zugleich versuchten wohlhabende Kreise unter dem Schutz der Bajonette, die abgeschottete Wirtschaft zu öffnen sowie Löhne, Arbeiterschutzrechte und soziale Sicherungen abzubauen. Wirtschaftsminister Jose Martinez de Hoz hatte dafür fünf Jahre veranschlagt. Das Ergebnis war ein Desaster. Viele Betriebe brachen zusammen, die Währung war zerrüttet, und die Auslandsschulden verdoppelten sich. Aus der Schuldenfalle hat sich das Land bis heute nicht wieder befreien können.
Strafrechtliche Verfolgung ist wegen der argentinischen Amnestiegesetze nur noch im Ausland möglich. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wegen der Ermordung von 20 deutschstämmigen Argentiniern gegen Mitglieder der früheren Junta. Die Ermittlungen hatten deutsche Menschenrechtsgruppen ins Rollen gebracht, die sich in der "Koalition gegen Straflosigkeit" zusammengeschlossen haben.
Nun will die Vereinigung beim deutschen Justizministerium gegen rund 50 argentinische Militärs Anzeige wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstatten. Eine ähnliche Maßnahme hatte 1998 in Spanien zur Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet in London geführt. Videla hat keine Zweifel an seiner Rolle gelassen: "Ich stand über allem, (. . .) ich wusste alles." dpa