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"Es gab Zeiten, in denen ich sterben wollte"

Von Klaus Huhold und Ines Scholz

Politik

Palden Gyatso überlebte chinesische Folter. | Tibetischer Mönch über seine Hafterfahrungen und die Zukunft seiner Heimat. | Tibet: Ein Volk im Würgegriff Chinas | "Wiener Zeitung": Sie waren 33 Jahre in Haft und wurden dort schwer gefoltert, weil Sie sich gegen die chinesische Herrschaft aufgelehnt haben. Gab es Momente, in denen Sie ihre Ideale aufgeben wollten?


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Palden Gyatso: Nein, die diese Momente hatte ich nie. Aber es gab Zeiten, da habe ich den Tod herbeigesehnt - wenn die Schmerzen der Folterungen kaum mehr zu ertragen waren.

Was sind die Beweggründe eines Mönches, sein Leben dem politischen Kampf zu widmen? Denn aus spiritueller Sicht sind ja politische Forderungen etwas sehr Vergängliches.

An und für sich stimmt es, dass man als Mönch aus geistiger Sicht so denken würde, dass alle Dinge vergänglich sind und die Politik etwas sehr Weltliches ist. Meine persönliche Motivation, dass ich Spirituelles mit Politik verbunden habe, war das Mitgefühl. Meine prägendste Erfahrung in der Haft war, dass in den Gefängnissen das Ziel vorherrscht, die Liebe zwischen den Menschen zu vernichten. Man muss sich vorstellen, welchen Schmerz ein Elektrostab in der Scheide einer Frau oder im Mund eines Mannes auslöst. Wenn man so etwas machen kann, empfindet man keine Liebe zu anderen Wesen. Und kaum war ich frei, hörte ich von neuen Folterungen und sah daher die Notwendigkeit, wieder weiter zu kämpfen.

Taten Sie das immer in dem Bewusstsein, dass Sie erneut gefoltert werden könnten?

Dessen war ich mir immer bewusst. Meine Haltung war: Ohne Anstrengung gibt es keine Ernte. Und China hat Tibet besetzt. Ich dachte mir immer: Wir Tibeter haben doch das Recht, ein Land zu haben und dort zu Hause zu sein.

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Mittlerweile leben Sie im Exil. Was wissen Sie über die derzeitige Lage in Tibet? *

Es ist bekannt, dass seit den Unruhen im März 2008 der chinesischen Machthaber ihre Repressionen verstärkt haben. Noch schlimmer aber ist, dass sie eine Ideologie fördern, der zufolge alle dem Staat dienen müssen. Das ist ihre Religion: Die Liebe zum Staat - und ja nicht die Ausübung des Buddhismus. Das hat schon Mao Zedong propagiert: Religion und Spiritualität sind Gift. Das wird in die Köpfe der Menschen regelrecht eingehämmert. Die Spiritualität wird zerstört - wenn nötig mit Gewalt.

Ist diese Zerstörung der tibetischen Kultur schon unwiderruflich?

Ich bin überzeugt, dass wir die tibetische Kultur bewahren können. Und es gibt reale Gründe für diese Hoffnung. Zum Beispiel hat das jüdische Volk seine Tradition und Kultur bewahrt, obwohl es über Jahrhunderte verfolgt wurde. Für die Erhaltung der tibetischen Kultur ist die Exilgemeinde rund um den Dalai Lama im indischen Dharamsala enorm wichtig. Dort werden die Traditionen bewahrt, was in Tibet nicht möglich ist.

Der Dalai Lama fordert ja keine Unabhängigkeit mehr, sondern nur noch eine Autonomie. Warum reagiert Peking trotzdem so allergisch?

Ich glaube, dass Chinas Führung Angst hat, dass das Volk in Tibet sich mit dem Kompromiss des Dalai Lama anfreunden könnte.

Welche Hoffnung haben Sie noch für Tibet?

Der Völkermord und die Folterungen sind weiter im Gange. Es werden auch in Zukunft viele Tibeter sterben. Trotzdem habe ich große Hoffnung, dass es ein freies Tibet geben wird - auch wenn ich selbst es wegen meines Alters nicht mehr erleben werde.

"Fire under the Snow", eine Verfilmung des Lebens von Palden Gyatso, wird am Sonntag, 13. Dezember, um 21:00 Uhr im Schikaneder-Kino im Rahmen des Menschenrechts-Filmfestivals "this human world" gezeigt.

"Der Völkermord und die Folterungen sind weiter im Gange. Es werden auch in Zukunft viele Tibeter sterben."

Zur Person:
Palden Gyatso, 1933 geboren, wurde 1959 nach einer friedlichen Demonstration in Tibet eingekerkert. Kaum war er frei, wurde er sofort wieder politisch aktiv und kam erneut ins Gefängnis. Er überlebte mehr als 30 Jahre Haft, Folter und Zwangsarbeit. 1992 floh er ins indische Exil.