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Es geht auch ohne die USA

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

In einem Jahr sollen die letzten US-Truppen den Irak verlassen. Aber wie soll es danach weitergehen? Darüber zerbricht sich nicht nur die neue irakische Regierung den Kopf.


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"Wir haben es hinter uns, es ist vorbei." Dieses Gefühl ist unter den Soldaten der 1. US-Infanteriedivision, die nächste Woche nach einem Jahr Einsatz im Irak nach Hause zurückkehren, fast mit Händen greifbar. Noch zwölf Monate, und das Gefühl wird auf das ganze Land, das sie entsandt hat, zutreffen, denn die letzten US-Truppen sollen den Irak im Dezember 2011 verlassen. Aber wie soll es nach der US-Ära im Irak weitergehen? Auf dem Tiefpunkt dieser alptraumartigen Okkupation schien diese Frage zeitweise für alle Seiten völlig unvorstellbar. Jetzt steht sie ganz oben auf der Tagesordnung der neuen irakischen Regierung, die trotz mancher Nachteile nun alle wichtigen Bevölkerungsgruppen in sich vereinigt.

Bei seinem jüngsten Treffen mit Iraks Premier Nouri al-Maliki drängte US-Generalstabschef Mike Mullen, mit den Vorbereitungen für eine "langfristige strategische Partnerschaft" zu beginnen, bei der die USA ihre Ausbildungsarbeit für Militär und Polizei fortsetzen und weiter ihre Unterstützung in Sachen Sicherheit anbieten werden.

Als wichtiger erweist sich bei der Geschichte jedoch, was alles nicht passiert ist. Als sich US-Truppen Mitte 2009 aus irakischen Städten zurückzogen, war die Angst groß, das Land würde wieder in den Bürgerkrieg abrutschen. Das geschah nicht. Als dann heuer im Sommer die letzten Kampftruppen abzogen, wurden wieder Ängste laut. Und wieder geschah nichts. Auch die acht Monate dauernde Regierungsbildung nach den Wahlen im März rief Ängste wach, aber nun steht die Regierung aus einer breiten Koalition aller wichtigen Gruppen.

Ein idealer Führer ist Maliki wohl nicht. Manchmal wird er als irakische Version von Richard Nixon beschrieben, mit verschwörerischer Gesinnung und unrasiertem Gesicht. Er ist niemandes Favorit, dadurch aber für alle akzeptabel. Sogar das heikle Thema der Ent-Baathifizierung scheint durch einen Kompromiss für prominente sunnitische Politiker doch noch gelöst.

Der politische Stil im Irak ist der des ständigen äußersten Limits: Vor 23 Uhr (oder noch später) wird prinzipiell nichts beschlossen. Das zerrt mächtig an den Nerven der eher kompromissorientierten Amerikaner, letzten Endes finden die Iraker aber meist eine Lösung. Und noch etwas zeigten die langen Regierungsverhandlungen: Der überwiegende Teil der Iraker ist der Gewalt wirklich müde. Außer terroristischen Randgruppen ist niemand mehr für einen Bürgerkrieg zu haben.

Die irakischen Sicherheitskräfte hielten sich besser, als viele vorausgesagt haben, meint Mullen, das sei ermutigend, denn sie seien durchaus in der Lage, die Sicherheit des Landes zu handhaben. Und in der Tat widerlegen die Zahlen alle Befürchtungen, sie könnten der Aufgabe nicht gewachsen sein. Durchschnittlich 15 Zwischenfälle werden laut US-Befehlshabern pro Tag im Irak gezählt, das sind 20 Prozent weniger als im Vorjahr (damals spielten die US-Truppen noch eine größere Rolle) und entspricht ungefähr den Zahlen vor der US-Invasion 2003.

In Washington fürchtet man aber, der post-amerikanische Irak könnte ohne dauerhafte starke Sicherheitsbeziehung ins Chaos zurückfallen. Die Verantwortlichen fürchten eine Wiederholung der letzten Szene aus "Charlie Wilsons War": Die US-Truppen ziehen sich zurück und Terrorismus füllt das Vakuum.

Die USA sollten achtgeben, dass sie kein Sicherheitsvakuum hinterlassen. Zu viel zu tun und nichts zu tun, dazwischen muss es doch etwas geben.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung