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"Es geht ihnen mit den Medien besser als vorher"

Von Cathren Landsgesell

Politik
"Jugendliche, die von Computerspielen abhängig sind, sind oft ängstlich und depressiv", sagt Kinder- und Jugendpsychater Christoph Möller.
© privat

Der Kinder- und Jugendpsychiater Christoph Möller versteht sehr gut, warum Kinder vom Internet und von Computerspielen abhängig werden. Sie finden dort eine Welt, in der sie erfolgreich sind. Ein Gespräch über die Folgen der Sucht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wiener Zeitung": Auf Ihrer Therapiestation Teen Spirit Island im Kinder- und Jugend-Krankenhaus Auf der Bult werden seit einigen Jahren auch Jugendliche therapiert, die süchtig nach Bildschirmmedien sind. Ist die Mediensucht wirklich ein so großes Problem? Christoph Möller: Ja, ein zunehmend größeres. Als Teen Spirit Island vor fünfzehn Jahren gegründet wurde, hätte niemand es für möglich gehalten, dass man einmal Plätze für computersüchtige Kinder und Jugendliche braucht. Die tauchten aber einfach irgendwann auf. Manche wurden von den Eltern geschickt, oder sie kamen alleine. Wir haben 2010 die bundesweit ersten Behandlungsplätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingerichtet, aber nach wie vor ist die Mediensucht keine anerkannte Diagnose.

Warum werden die Jugendlichen süchtig? Was macht die Computersucht aus?

Computersüchtige, insbesondere diejenigen, die von Computerspielen abhängig sind, sind oft ängstlich und depressiv. Sie haben Verstimmungen, soziale Ängste und Phobien. Das Internet mit seinen Möglichkeiten passt zu dieser Problematik wie ein Deckel auf den richtigen Topf.

Wer gute Kontakte hat und im realen Leben gut vernetzt ist, kann das Internet als eine Erweiterung nutzen, wer sie nicht hat, findet im Internet den Ersatz für reale Kontakte. Die Kinder und Jugendlichen ziehen sich von allen sozialen Aktivitäten zurück, sind nur noch auf dem Zimmer, gehen nicht mehr in die Schule, ihre Hobbies interessieren sie nicht mehr, sie übernehmen keine Aufgaben im Haushalt mehr usw.

Wissen die computersüchtigen Jugendlichen, dass sie ein Problem haben?

Es wird ihnen meist erst in der Therapie bewusst. Es geht ihnen nämlich mit den Medien viel besser als vorher. Wenn man niemanden hat, mit dem man sich täglich austauschen kann, dann erlebt man es als etwas positives, wenn man im Internet Freunde findet. Wenn man in der Schule keine Erfolge hat, aber beim Computerspiel, will man darauf nicht verzichten. Die Abhängigen haben das Gefühl, sie sind in einer sozial vernetzten Welt unterwegs. Insofern ist der Gewinn durch die Mediensucht größer als der Verlust – aus der Perspektive des Jugendlichen.

Bemerken die Eltern nicht, dass es ein Problem gibt?

Es braucht etwas länger, bis Mediensüchtige zur Therapie finden, denn es geht heutzutage nicht gleich ein Aufschrei durch die Gesellschaft, wenn ein 16jähriger seinen Tag vor dem Computer verbringt. Die Kinder sollen ja möglichst früh, mit möglichst vielen Medien umgehen lernen.

Die Politik will Computer bereits in Kitas und in Kindergärten einsetzen, und die Eltern denken, sie tun den Kindern etwas Gutes, wenn sie sie möglichst schnell mit einem Computer versorgen. Viele Eltern sind auch froh, wenn die Kinder nicht rausgehen, nicht in der gefährlichen Welt unterwegs sind und nicht drogenabhängig werden – dabei vernachlässigen sie völlig das Gefahrenpotenzial der modernen Medien.

Gerade weil Computerspiele so starke Anreize setzen, funktioniere das Lernen damit so gut, sagen manche Pädagogen. Immer wieder zeigen Studien, dass Computerspiele bestimmte Hirnareale aktivieren. Ist das falsch?

Nein, die Frage ist nur: Fördert dies die Lebenskompetenz? Dies ist aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie das Erziehungsziel. Man bleibt beim Lernen mit dem Computer und ganz speziell mit Computerspielen immer auf dem Level, das man beherrscht. Man hat unendlich viele Wiederholungen und nie ein Frustrationserlebnis.

Außerdem kann man nur durch das Erleben Erfahrungen machen, die alle Sinne erfassen und die sich darum auch besser einprägen. Und man lernt in Beziehungen: Das Beziehungsgeschehen zwischen dem oder der Vorlesenden und dem zuhörenden Kind zum Beispiel kann nicht durch einen Film oder ein Fernsehprogramm ersetzt werden. Aus Langzeituntersuchungen weiß man, dass die Bildungsabschlüsse schlechter waren, je länger die Untersuchten im Kindesalter ferngesehen haben. Es gibt also eine ganz klare negative Korrelation.

Soll die Schule etwas tun, um Mediensucht zu verhindern? Kann sie das überhaupt?

Ohne Medien und Computer können Kinder heutzutage nicht mehr zurechtkommen, man muss das irgendwann lernen. Aber eine Medienpädagogik, die auf die technische Handhabung der Geräte abzielt, ist nicht sinnvoll. Was hat die Schule also für eine Aufgabe? Sie soll die jungen Menschen für das Leben begeistern, ihnen also Lust auf das Leben machen, sie Sehnsucht nach dem Leben lehren, wie man nach Saint Exupery die Menschen auch die Sehnsucht nach dem Meer lehren muss, um sie zu guten Schiffsbauern zu machen.

Man muss in der Schule auch aufklären: Über Cybermobbing, über Kommunikation, Privatsphäre, Recherchen im Internet usw. Leider geht es heute vielfach nur noch um wirtschaftliche Überlegungen, nicht mehr um eine sinnvolle kindliche Entwicklung. Wir schulen die Kinder stattdessen immer früher ein und verkürzen die Schulzeit, damit sie schneller im Arbeitsleben stehen.