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Es geht nicht mehr

Von Alexander Dworzak

Politik
In Märsta nahe Stockholm mussten Flüchtlinge mangels Quartieren im Freien schlafen.
© reu/Gow

Schweden will bis zu 80.000 Flüchtlinge abschieben, bei einem Drittel gilt das als schwer durchführbar.


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Stockholm/Wien. Die selbsternannte "humanitäre Supermacht" Schweden - ein Ausspruch des konservativen Ex-Premiers Fredrik Reinfeldt - machte ihrem Namen auch 2015 alle Ehre: 163.000 Personen beantragten Asyl, großteils infolge der Flüchtlingskrise. Der politische Wille der rot-grünen Minderheitsregierung war da, diese Flüchtlingspolitik fortzusetzen - und einen Gegenpol insbesondere zu Dänemark zu bilden, dessen rechtsliberale Regierung auf größtmögliche Abschreckung setzt. Schrittweise musste aber Schweden seine Überforderung mit dem Zuzug eingestehen: Vergangenen November wurden Grenzkontrollen eingeführt. Im eiskalten Dezember musste ein Zeltlager eröffnet werden, Flüchtlinge schliefen im Freien. Und seit Jänner müssen auch alle Zug- und Busunternehmen die Identitäten der Passagiere festhalten, die über die Öresund-Brücke von Dänemark nach Schweden fahren.

Zwar kommen mittlerweile nur rund 100 Flüchtlinge pro Tag, während es im Oktober noch 10.000 pro Woche waren. Doch das genügt nicht: Von den 2015 Angekommenen wird rund die Hälfte gehen müssen, stellte Innenminister Anders Ygeman gegenüber der Zeitung "Dagens Industri" am Donnerstag klar. Knapp 60.000 Asylanträge bearbeiteten die Behörden 2015, davon wurden 55 Prozent positiv beschieden. Zum Vergleich: In Österreich wurden der ersten Instanz von rund 36.000 entschiedenen Anträgen knapp 14.000 positiv bewertet. Bis zu 80.000 Flüchtlinge könnten also in Schweden betroffen sein. Die EU-Kommission begrüßt die Pläne: "Es ist eine der Verpflichtungen der Mitgliedsländer, dass Menschen ohne Anspruch auf Asyl rückgeführt werden müssen", sagte eine Sprecherin am Donnerstag.

Laut Ygeman sollen die Flüchtlinge davon überzeugt werden, freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückzukehren: "Bereits heute werden Flugzeuge gechartert, was recht kosteneffektiv ist." Der Minister schließt aber auch Zwangsabschiebungen nicht aus - so oder so wird die Abschiebepraxis Jahre in Anspruch nehmen.

Wieder Angriff Minderjähriger

Weiteres Problem: Laut der schwedischen Polizei ist die Rückführung von einem Drittel der Abgelehnten nicht einfach bewerkstelligbar. So gelten der Iran, Afghanistan, Irak, Eritrea und Somalia als problematisch - im Gegensatz zu Russland und dem Kosovo. "Wir führen Diskussionen mit den nordafrikanischen Ländern und mit Afghanistan. Dies ist keine leichte Aufgabe", gibt Minister Ygeman zu.

Wie hoch der Druck ist, zeigt das Verhältnis zwischen Schweden und Marokko: Noch in Opposition plädierten die Sozialdemokraten vehement für die Unabhängigkeit der Westsahara, die zum großen Teil von der nordafrikanischen Monarchie besetzt ist. In der Regierung verabschiedete sich Schwedens Linke Mitte Jänner von ihrem Plan. Nur vier Tage später einigte sich Schwedens Innenminister mit dem marokkanischen Parlamentspräsidenten auf eine Kommission. Diese soll Lösungen für nordafrikanische Straßenkinder in Schweden erarbeiten. Sie sollen also in ihre frühere Heimat abgeschoben werden.

38.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - unter ihnen befinden sich weniger als 3000 Mädchen - nahm Schweden 2015 auf. Einige tauchten bereits kurz nach ihrer Ankunft unter. Allein in Stockholm sollen es 200 sein, sie stammen aus Marokko und Algerien. "Diese Kinder leben unter uns, aber in einer Parallelwelt", sagt der Journalist Federico Moreno, der an einem Buch über diese Gruppe junger Asylwerber in Schweden arbeitet, im schwedischen Rundfunk SVT. Sie gelangten meist in einen Teufelskreis aus Kriminalität, Drogenmissbrauch und kriminellen Banden.

Die Minderjährigen rückten ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nachdem Ende vergangene Woche ein 15-Jähriger eine 22-jährige Betreuerin erstochen hatte. Mittwochnacht mussten sich die Mitarbeiter einer Asylunterkunft in der südschwedischen Gemeinde Emmaboda verbarrikadieren, weil 16 Jugendliche sie angreifen wollten. Laut der Zeitung "Barometern" entzündete sich deren Wut aufgrund einer Petitesse: Weil die Betreuer einem 16-Jährigen verboten hatten, Süßigkeiten zu kaufen.

Linke auf Rekordtief

Die Flüchtlingspolitik und eine Kontroverse um die Wohnung von Außenministerin Margot Wallström lassen die Sozialdemokraten laut Umfrage des Sifo-Instituts auf 23,2 Prozent abstürzen. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebungen durch Sifo im Jahr 1967. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten liegen nur mehr 5 Prozentpunkte hinter der Arbeiterpartei.