Tschechiens Sozialdemokraten wollen mit Wahlgewinner ANO über eine Koalition verhandeln.
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Prag/Wien. Jan Hamacek hat schon zeitig die Politik zu seinem Beruf gemacht. Seit seinen frühen Zwanzigern ist er für Tschechiens Sozialdemokraten aktiv, er war Vorsitzender des Jugendverbandes, leitete die Abteilung für Außenpolitik seiner Partei und war Vorsitzender des tschechischen Abgeordnetenhauses. Nun, mit 39 Jahren, ist der Mann aus der Industriestadt Mlada Boleslav am Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Beim Parteitag der Sozialdemokraten (CSSD) wählten seine Kollegen den zweifachen Familienvater zum neuen Vorsitzenden der CSSD.
Als etwas zu routiniert und farblos beschreiben Hamacek seine Gegner. Seine Befürworter hingegen sehen in ihm einen erfahren Politiker, der auch mit Gegnern eine gute Gesprächsbasis und Kompromisse findet.
Die großen Wahlverlierer
Hamacek wird in den kommenden Wochen und Monaten auch viel Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft benötigen. Er steht nämlich vor zwei heiklen Aufgaben: Erstens muss er die am Boden liegende Sozialdemokratie aufrichten - diese hat bei der Wahl im Herbst vergangenen Jahres fast zwei Drittel ihrer Stimmen verloren und wurde somit von der größten Partei zur lediglich sechtstärksten Kraft im Parlament. Zweitens muss er als Vorsitzender nun für die Entscheidung geradestehen, ob die CSSD eine Koalition mit dem Wahlsieger ANO eingeht.
ANO ist die Bewegung des Milliardärs Andrej Babis, der den Staat wie einen Konzern führen will. Die Partei hat zwar mit fast 30 Prozent der Stimmen die Wahl im Oktober überlegen gewonnen, findet seitdem aber keinen Koalitionspartner. Die anderen Parteien weigern sich, ein Bündnis mit Babis einzugehen, da gegen diesen Korruptionsermittlungen laufen. Die Behörden untersuchen, ob beim Aufbau eines Wellness-Ressorts EU-Subventionsgelder erschlichen wurden.
Bei ihrem Parteitag haben die Sozialdemokraten ihren neuen Chef nun damit betraut, Sondierungsgespräche mit ANO zu führen, wofür Hamacek zuvor auch selbst geworben hat. Gleichzeitig stellten sie schon die ersten Bedingungen: Wenn man mit ANO ein Bündnis eingehe, dann müsse jemand anders als der strafrechtlich verfolgte Babis Premier werden. Babis hat bereits mitgeteilt, dass das für ihn nicht in Frage kommt. Doch das letzte Wort muss hier, von beiden Seiten, noch nicht gesprochen sein.
ANO und CSSD hätten gemeinsam aber ohnehin nicht genügend Sitze für eine Mehrheit. Sie bräuchten also noch einen Bündnispartner oder eine Partei, die ihr Kabinett duldet. Hier knüpft die zweite Bedingung der CSSD an. Eine mögliche Koalition mit ANO dürfe auf keinen Fall auf die Stimmen der rechtspopulistischen Partei "Freiheit und direkte Demokratie" (SPD) angewiesen sein.
Babis hatte zuletzt intensiv mit dem Vorsitzenden der SPD, Tomio Okamura, verhandelt. Der tschechisch-japanische Unternehmer und Politiker leugnete wiederholt die Existenz des Konzentrationslagers für Roma im südböhmischen Lety. Deshalb hat Babis mit seiner Annäherung an Okamura nicht nur in den Augen seiner Gegner eine Grenze überschritten: Selbst Parteifreunde wie der frühere Verteidigungsminister Martin Stropnicky wollen mit einer Regierung, die an Okamura anstreift, nichts zu tun haben.
Zeman steht hinter Babis
Derzeit ist Babis amtierender Premier. Seine Minderheitsregierung, die nur aus ANO-Leuten besteht, fand nicht genügend Unterstützung. Sie ist noch interimistisch im Amt, bis ein neues Kabinett gefunden ist.
Präsident Milos Zeman, der erst im Jänner für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, unterstützt Babis. Er hat den zweitreichsten Mann Tschechiens erneut mit der Regierungsbildung beauftragt und Babis dabei auch kein Zeitlimit gesetzt. Zeman war auch Gastredner am Parteitag der Sozialdemokraten, denen er früher angehörte. Er warnte seine ehemaligen Genossen, dass sie in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohen, wenn sie nicht in die Regierung gehen. Ähnlich argumentierte auch Hamacek. "Wenn die CSSD in der Opposition bleibt, wird sie öfter gegen ihr eigenes, von ANO übernommenes, Programm auftreten müssen", sagte er.
Skeptiker einer Regierungsbeteiligung verweisen aber darauf, dass die CSSD schon in der vergangenen Legislaturperiode mit ANO koaliert und dafür einen hohen Preis hat. Dabei war die CSSD die stärkste Kraft und stellte den Premier, während Babis den Großteil der Legislaturperiode Finanzminister war. Die tschechische Wirtschaft boomte in dieser Zeit, die Arbeitslosigkeit sank, während Pensionen und Gehälter stiegen. Doch all diese Erfolge heimste Babis mit geschickten Kampagnen für sich ein -während die Sozialdemokraten bei der Wahl abstürzten.