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Es geht nicht um die Kernenergie - es geht um Österreichs Glaubwürdigkeit

Von Katharina Schmidt

Analysen

Es sei jedem selbst überlassen, ob er für oder gegen die friedliche Nutzung von Kernenergie auftritt. So hat die Europäische Kommission die Kernkraft erst im Jänner als Alternative zu fossilen Energieträgern gelobt. Und so hat Österreich die Kernkraft bereits vor Jahrzehnten (2008 "feiern" wir 30 Jahre Atomsperrgesetz) verteufelt.


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Aber der Knackpunkt im Streit zwischen Österreich und Tschechien um das rund 100 Kilometer von Linz entfernt liegende Kernkraftwerk Temelín ist nicht das Für oder Wider der Kernenergie an sich. Der Knackpunkt liegt vielmehr in der Glaubwürdigkeit Österreichs. Denn derzeit hat es den Anschein, als ob Österreich sich von Tschechien auf die Zehen steigen lässt und sich auch noch dafür bedankt.

Seit Beginn der Streitigkeiten im Jahr 1993 stößt das offizielle Österreich leere Drohungen in Richtung Prag aus - so meinte damals Umweltministerin Maria Rauch-Kallat, dass es zu einer "Belastung der nachbarschaftlichen Beziehungen" kommen werde, sollte Temelín gebaut werden.

Zur Erinnerung: Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen Tschechiens zur Europäischen Union weigerte sich die FPÖ, das Energiekapitel abzuschließen, sollte Tschechien nicht auf Temelín verzichten. Als Kompromiss unterzeichneten 2001 Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der tschechische Ministerpräsident Milo Zeman im Beisein von Erweiterungskommissar Günther Verheugen das Melker Abkommen.

Unter anderem war darin festgehalten, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt, dass eine Info-Hotline für die rechtzeitige Information Österreichs bei Störfällen sorgt und dass Temelín erst in Betrieb geht, wenn diese Bedingungen voll erfüllt sind.

In den tschechischen EU-Beitrittsvertrag wurde das Melker Protokoll trotz gegenteiliger Ankündigungen von Schüssel und Umweltminister Josef Pröll nicht aufgenommen. Damit ist das Protokoll kein Primärrecht und kann nicht vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden. Auch beim Internationalen Gerichtshof (IGH) würde Österreich mit einer Völkerrechtsklage abblitzen, denn Tschechien erkennt den IGH nicht an. Denoch drängen sowohl Anti-Kernkraftorganisationen als auch der Nationalrat immer wieder auf eine Völkerrechtsklage - den Österreichern wird in dieser Causa eine außenpolitische Stärke vorgespielt, die das Land gar nicht hat.

Zwar hat die derzeitige Koalition unter Alfred Gusenbauer im Regierungsprogramm die Nullvariante Temelíns beschworen. "Ich bin sauer", war aber auch Gusenbauers stärkste Reaktion darauf, als er kurz nach seinem Prag-Besuch Ende Februar erfuhr, dass Tschechien wenige Tage vorher mit einer zu späten Störfall-Meldung gerade noch am Bruch des Melker Abkommens vorbeigeschrammt war. Wenn die Tschechen jetzt also den Melker Prozess für abgeschlossen erklären wollen, warum bedanken wir uns nicht einfach dafür? Im Sinne der gutnachbarschaftlichen Beziehungen.