Marcus Arige vom SWV Wien fordert einen Gasdeckel und Energiehilfen für kleine Betriebe.
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"Wiener Zeitung": Viele Energierechnungen haben sich verdoppelt und es stehen weitere Erhöhungen an. Was bedeutet das für kleine und mittlere Betriebe?
Marcus Arige: Das Problem baut sich seit dem Frühjahr auf. Und es gibt noch keine Hilfen. Es wurde zwar ein Energiekostenzuschuss ab Mehrkosten von 2.000 Euro monatlich beschlossen. Bis jetzt ist aber noch kein Cent geflossen. Und alle EPUs, kleine Betriebe, die unter 2.000 Euro Mehrbelastung haben, bekommen nichts. Aber diesen Betrieben tut jeder Tausender weh. Und in der Zwischenzeit wurde in Deutschland mit dem "Doppel-Wumms" sowohl Strom als auch Gas gedeckelt. Wir haben eine private Strompreisbremse. Und die Gaspreise sind bisher gar nicht geregelt. Das betrifft vor allem Betriebe, denn Gas ist das Mittel der Wahl im Energie-intensiven Bereich, zum Beispiel beim Backen. Die Bäckerei "Mann" erwartet bei der Energie hochgerechnet Mehrkosten von 4,4 Millionen Euro. Vielleicht kann sich das "Mann" dank Reserven leisten, aber sie müssen auch einen Teil der Kosten weitergeben, was die Inflation befeuert. Und andere müssen zusperren. Da geht es nicht mehr um Klassenkampf - Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber. Gerade im klein strukturierten Bereich zahlen die Besitzer sich selbst oft weniger aus als ihren Angestellten.
Die SPÖ fordert einen Gaspreisdeckel, ein entsprechender Entschließungsantrag wurde aber abgelehnt. Wie soll denn der Deckel konkret aussehen?
Nach Gesprächen mit Betrieben könnten zum Beispiel 70 bis 80 Prozent der im Vorjahr verbrauchten Menge gedeckelt werden, der Rest ist der sogenannte Sparanreiz. In Deutschland sind es 30 Prozent. Wobei, viele Betriebe diese Einsparungspotenziale nicht haben, weil sie ohnehin effizient wirtschaften. Potenzial gibt es bei neuen Technologien, aber da halten sich viele mit Investitionen zurück, weil der gesetzliche Rahmen fehlt. Das Energiewärme-Gesetz ist zum Beispiel noch immer nicht da.
Beim Gaspreisdeckel warnen Ökonomen vor einer weiteren Verknappung, wenn das Instrument nicht richtig eingesetzt wird. Auch die EU-Minister sind sich uneins.
Ja. Wobei wir feststellen müssen, einen richtigen Engpass gab es bisher bei uns nicht. Die Preise sind im Sommer massiv gestiegen, als jedes EU-Land - verständlicher Weise - auf Teufel komm raus um jeden Preis Gas eingekauft und eingespeichert hat. Das wussten die Gashändler natürlich. Und wir fordern ja auch nur einen Deckel für 70 Prozent des Verbrauchs, der Rest wird eingespart oder zum Marktpreis bezahlt. Und was ist die Alternative? Geschlossene Betriebe und eine Schwächung des Standorts. Es herrscht ein beinharter globaler Wettbewerb und die Lohnstückkosten sind bei diesen Energiepreisen nicht unser Vorteil. Die lachenden Dritten sind die USA.
In den USA sind die Energiepreise um zwei Drittel niedriger, der 370 Milliarden Dollar schwere "Inflation Reduction Act" sieht massive Entlastungen für grüne Technologien "made in USA" vor. Was heißt das für heimische Betriebe?
Die USA waren immer schon protektionistisch, auch wenn sie gerne von freiem Welthandel sprechen. Das Schlechteste wäre ein Handelskrieg zwischen der EU und den USA mit Zöllen und Gegenzöllen. Die EU muss sich jetzt die Frage stellen, ob wir es uns leisten können, auf Fracking zu verzichten. Wir verzichten auch, aus guten Gründen, auf Atomenergie, aber auf kurz oder lang können wir uns unsere hohen moralischen Maßstäbe beim Wirtschaften nicht leisten. Wir stellen auch keine Technologien für die Erneuerbaren selbst her, die Solarpaneele kommen aus China. Die Honeymoon-Phase, wo sich die ganze Welt lieb hat und Handel durch Wandel und wir werden alle gemeinsam wohlhabender, ist vorbei. Die Amerikaner agieren hier einfach realistischer. Wir müssen auch gemeinsame europäische Projekte über das EU-Budget finanzieren, statt die Gelder an die einzelnen Regierungen zu überweisen, die dann Dinge umsetzen, oder auch nicht. Den Klimawandel und die Energiewende wirst du nicht nationalstaatlich lösen, das geht sich nicht aus.
Wo soll das Geld dafür herkommen?
Wir können nicht mit dem Steuersystem des 20. Jahrhunderts das 21. bestreiten. Wir brauchen neue Steuern, andere könnten wir dafür abschaffen. Es gab gute Gründe, eine Mineralölsteuer einzuführen. Jetzt sind Daten das neue Erdöl. Die werden aber gar nicht besteuert. Obwohl Google und Facebook große Gewinne damit machen und die kaum versteuern. Wir müssen jene Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen, entlasten. Und jene, die mit Algorithmen und Maschinen arbeiten, müssen einen größeren Beitrag für die Finanzierung des Sozialsystems leisten. Wir müssen das Steuersystem neu denken.
Zur Person
Marcus Arige ist SPÖ-Politiker, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands Wiens und Vizepräsident der Wiener Wirtschaftskammer.