Zum Hauptinhalt springen

Es geht um Brot

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die meisten Ägypter leben in Armut, die Krawalle haben soziale Ursachen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Suez. Immer wenn ein Schiff in Suez auftaucht, klingelt die Kasse in Kairo. Die Gebühren für die Passage der weltweit wichtigsten Wasserstraße sind derzeit unerlässlich für Ägypten. Seit dem Einbruch des Tourismus ist der Kanal Devisenbeschaffer Nummer eins. Rund fünf Milliarden Euro spülen die vielen Tonnagen, die sich Tag für Tag 163 Kilometer durch die enge Verbindung zwischen Rotem Meer und Mittelmeer zwängen, pro Jahr in die Staatskasse. "Der Kanal gehört uns", schreit ein Hafenarbeiter in die Menge, "Mursi, lass die Hände weg!" Trotz Ausgangssperre sind wieder viele Menschen bis spät in die Nacht auf den Straßen in Suez. Das Militär greift nicht ein, schützt aber den Kanal vor Übergriffen. Wer Ägypten im Mark treffen will, legt den Suezkanal lahm. "Wir wollen doch nur auf die wirtschaftliche Misere aufmerksam machen", erklärt ein Demonstrant den Grund seiner Anwesenheit. Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit waren die Hauptforderungen der Revolution, die vor zwei Jahren begann.

Die Deutschen kommen

Trotz der Unruhen in seinem Land ist Ägyptens Präsident nach Deutschland geflogen. Seine für diese Woche geplanten weiteren Reisen nach Äthiopien und Frankreich hat er abgesagt. Ursprünglich wollte Mohammed Mursi zwei Tage in Berlin bleiben, reiste dann aber nach nur fünf Stunden wieder ab. Dass er überhaupt kam, war ein starkes Signal und wurde in Kairo mit dem katastrophalen Zustand der Wirtschaft Ägyptens begründet. Mursi will die Deutschen mit ins Boot holen, um die kollabierende Wirtschaft zu retten. 120 ägyptische Geschäftsleute waren mit ihm in Berlin. Es ist davon auszugehen, dass künftig im Gegenzug deutsche Wirtschaftsfachleute am Nil ein- und ausgehen werden. Reformen und eine Umstrukturierung sind zwingend.

Wohin geht die Reise?

Doch niemand weiß derzeit, in welche Richtung Ägyptens Wirtschaft sich entwickeln soll. Wird es eine freie, marktwirtschaftliche Orientierung geben oder eine staatlich gelenkte Ordnung? Oder gar eine Mischung aus beidem? Mit der Antwort ist Eile geboten, denn die derzeitigen Unruhen sind im Kern sozialer Natur. Seit dem Sturz Hosni Mubaraks am 11. Februar 2011 hat sich für die meisten Ägypter nichts geändert. Im Gegenteil. Viele sind heute ärmer als damals. Die Hälfte der 83 Millionen Einwohner lebt von etwa zwei Dollar am Tag. Die Arbeitslosenzahlen verzeichnen Rekorde. Mursi und die regierenden Islamisten sind im Zugzwang.

Er werde nun alle seine Anstrengungen auf die ägyptische Wirtschaft konzentrieren, sagte der Präsident Ende Dezember, unmittelbar nachdem die neue Verfassung durch ein Referendum mit Mehrheit angenommen wurde. Dies sei eine enorme Herausforderung. Damit hat er mehr als recht. Denn seit dem Tag, als er das sagte, hat das ägyptische Pfund zehn Prozent an Wert verloren, hat die Rating-Agentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit um drei Punkte gesenkt und die Börse ist wieder eingebrochen. Ohnehin sieht die Kurve des Börsenindex von 2012 wie eine Achterbahnfahrt des politischen Kalenders aus. Immer wenn es Tumulte und Straßenschlachten gab, raste das Barometer in die Tiefe. Das zeigt einmal mehr, dass Investitionen stabile politische Verhältnisse voraussetzen. Doch davon ist Ägypten noch weit entfernt.

Katar als Retter in der Not

Was das Land am Nil derzeit jedoch am dringendsten braucht, sind Investitionen und Devisen. Die Währungsreserven der Zentralbank sind seit dem Umbruch vor zwei Jahren auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Als Retter in der Not sprang das Golfemirat Katar bereits im letzten September ein und borgte den Ägyptern zwei Milliarden Dollar. Ansonsten hätte Kairo Staatsbankrott anmelden müssen.

Doch die Gelder waren bald aufgebraucht, angesichts der gewaltigen Importe, die vor allem Ägyptens Lebensmittelsektor benötigt. Nun ist das Geld wieder knapp und Mursis Regierung verhandelt mit dem IWF um einen 4,8-Milliarden-Kredit. Ausländische Firmen sind schon dazu übergegangen, ihre Waren und Dienstleistungen nur noch gegen Vorkasse und Cash an Ägypten zu verkaufen. Die französische Firma Total, die Erdgas im Nildelta für den ägyptischen Staatsbetrieb fördert, hat seit Monaten keine Zahlungen mehr erhalten und einen Großteil ihrer ausländischen Experten abgezogen. Um weiterem Devisenschwund vorzubeugen, dürfen nun umgerechnet nicht mehr als 7500 Euro in ausländischen Währungen außer Landes gebracht werden. In den Hotels wurden Flyer ausgelegt, wonach ein Gast mit einem ausländischen Pass seine Rechnung ausschließlich in Fremdwährung zu entrichten habe. Aufgrund des von Präsident Mursi ausgerufenen Ausnahmezustands in der Kanalzone, laufen die durch Gas und Kohle betriebenen Kraftwerke in Suez und Port Said nur noch mit einer Schicht. Hält diese Entwicklung an, geht in Ägypten bald das Licht aus.