Ex-Spitzendiplomat Pierre Vimont über Trumps Politik und warum die EU mehr Verantwortung übernehmen muss.
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"Wiener Zeitung": Sie waren lange so etwas wie der Chefdiplomat der EU. Mit der Wahl von Donald Trump 2017 hat sich die Welt gewaltig verändert. Sind Sie froh, sich damit nicht mehr beschäftigen zu müssen, oder finden Sie es schade, dass Sie nicht mehr in der ersten Reihe dabei sein können?
Pierre Vimont: Ich bin grundsätzlich froh, in Pension zu sein. Aber eine neue Situation ist auch aufregend. Sie zwingt einen, kreativer zu werden. Es gab aber immer schon etwas Neues in der internationalen Politik. Russland unter Wladimir Putin heute ist nicht so, wie es unter Putin 2001 war, als Russland sich noch viel mehr um konstruktive Partnerschaften bemüht hat. Wir müssen uns anpassen. Darum geht es schließlich in der Diplomatie.
Wie hat sich die transatlantische Beziehung unter Donald Trump verändert? Wie muss sich die EU anpassen?
Der US-Präsident scheint alle internationalen Player auf dieselbe Stufe zu stellen. Egal, ob es Verbündete sind oder Feinde. Er behandelt sie alle gleich. Das macht einen großen Unterschied. Die EU und die USA hat eine lange Partnerschaft verbunden. Wir haben daran seit 1945 gebaut und dazu auch starke Institutionen wie die Nato erschaffen. Die EU ist in ihrem Anfangskonzept sehr stark aus der US-amerikanischen Vision entstanden, wie denn Westeuropa aussehen soll. Ein enger Partner der USA, dem Druck der Sowjetunion widerstehend. Aber es ist nicht nur Trump, der einen Unterschied macht. Die Sache ist komplex, wegen der Veränderung auf dem europäischen Kontinent. Der sowjetische Block war einer der raisons d’etre der Europäischen Union. Und ich bin mir nicht sicher, ob die EU diese neue Gegebenheit, nämlich den Zerfall dieses Blockes, richtig realisiert hat. Dagegen ist Trump nur eine vergleichsweise kurzfristige Realität. Aber er zwingt die EU, nun noch mehr darüber nachzudenken, was sie eigentlich sein will oder tun möchte. Es geht in gewisser Weise um nichts Geringeres als eine Neugründung der EU. Vielleicht muss es mehr Verantwortung auf der Seite der EU geben, was die Verteidigung und Sicherheit der EU betrifft. Das ist ja auch das, was Trump will: dass die EU ihre Militärausgaben erhöht. Ich glaube, dass er da recht hat. Aber wir sollten uns neue Konzepte für die Arbeitsaufteilung in Sicherheitsfragen überlegen. Wenn in Afrika etwas passiert, oder im Mittleren Osten, oder wo auch immer. Dass wir mit unseren US-Partnern darüber reden, wer dafür verantwortlich ist, etwas zu tun.
Gibt es diese Koordination nicht schon jetzt?
Nein, nicht wirklich. Es passiert auf einer pragmatischen Ebene. Frankreich zum Beispiel hat plötzlich entschieden, dass man schnell in Mali intervenieren muss. Und nun ist diese Präsenz zur Norm geworden. Und wenn man sich die jüngeren europäischen Sicherheitsoperationen ansieht, waren die zumeist in Afrika. Die Nato war durchaus glücklich darüber, das Europa zu überlassen. Man sieht also eine Art Arbeitsteilung, die sich langsam herauskristallisiert, aber ein Konzept ist nicht dahinter.
Was wäre die Spezialität der USA, was die der EU?
Schauen Sie sich an, was in den letzten Jahren geschehen ist. Die USA hat eine führende Rolle im Irak, in Syrien und in Afghanistan eingenommen. Da sind die Europäer durchaus glücklich, den USA den Vortritt zu lassen. Wohingegen die Europäer eine stärkere Präsenz in ihrer östlichen und in ihrer südlichen Nachbarschaft haben. Morgen vielleicht auch in Lateinamerika. Es geht darum, ein besseres Verständnis zu haben, wo man mitspielt. In Libyen sieht man zum Beispiel derzeit wenig von den USA, ebenso in Tunesien. Ich plädiere jetzt nicht für eine Aufteilung der Welt. Aber für ein besseres Verständnis, wer was kann. Das würde die Europäer auch dazu zwingen, mehr darüber nachzudenken, was sie in Sicherheitsfragen machen können oder sollten. Und mehr als bisher Verantwortung zu übernehmen.
Manche sagen, Europa braucht sich nicht zu verstecken, man habe doch das zweitgrößte Militärbudget der Welt.
Es ist wahr, wenn man die Budgets aller EU-Länder zusammenzählt, kommt man auf mehr als 300 Milliarden US-Dollar. Aber die mehr als 600 Milliarden Dollar Militärbudget der USA speisen sich aus einem einzigen Topf. In der EU sind es verschiedene Pipelines, die nicht zusammenfließen. Die Realität ist, dass Europa noch immer sehr schwach ist. Das ist ein Legat der Geschichte. Die EU als Konzept war nicht auf Sicherheit aufgebaut, sondern auf Wirtschaft. Sicherheit war an die Nato unter US-Führung delegiert.
Es war Frankreichs Entscheidung nach dem Zweiten Weltkrieg, dass Europa kein gemeinsames Heer haben sollte.
Ja. Die Amerikaner haben damals für ein europäisches Heer plädiert. Aber 1953 war der Zweite Weltkrieg noch zu präsent. Für Frankreich war es undenkbar, in dieser Zeit mit Deutschland ein gemeinsames Heer zu erschaffen.
Sicherheit war ein schmutziges Wort.
Später hieß es dann, wozu zweigleisig fahren, wenn wir ohnedies die Nato haben. Auch wenn Frankreich später unter Charles de Gaulle für eine europäische Sicherheitspolitik plädiert hat. Dann waren die europäischen Partner nicht unserer Ansicht. Jetzt unter Trump fragen sich immer mehr EU-Länder, vielleicht brauchen wir doch mehr als das Minimum. Großbritannien ist ein wichtiges Nato-Mitglied und hat sich immer gegen Zweigleisigkeit durch ein europäisches Heer ausgesprochen. Diese Stimme geht mit dem Brexit verloren.
Beim Europäischen Forum Alpbach haben Sie darüber gesprochen, dass die EU-Diplomatie oft nicht die Spanier nach Lateinamerika schickt oder die Franzosen nach Afrika, weil man sich keinen kolonialen Anstrich geben will.
Am Ende des Tages bleibt die Frage, wie wir mit der Diversität umgehen. Wir sind eine sehr diverse Organisation. Wir tendieren viel zu oft dazu, diese Diversität zu unterspielen.
Wenn Sie heute unter Trump noch Botschafter in Washington wären, wie würde Ihr Arbeitsalltag wohl aussehen?
Ich würde das machen, was ich schon damals in Washington gemacht habe: So wenig Zeit wie möglich in Washington verbringen. Sondern viel im Land herumreisen, um zu verstehen, was die Menschen antreibt. Trump wurde von Menschen gewählt, von denen viele heute noch immer für ihn stimmen würden. Faszinierend. Weil der Mainstream sagt ja: Trump ist der Zerstörer, er weiß nicht, was er tut. Seine Tweets gehen gegen alles, woran wir glauben. Aber die Realität ist: Seine Wähler finden, er macht genau das, was man machen sollte.
Wie haben Sie sich als Diplomat gefühlt bei dem Treffen Trumps mit Nordkoreas Kim Jong-un? Ich hatte das Gefühl, dass die Diplomaten in den USA mit den Tränen gekämpft haben.
Egal, ob es das Treffen mit Kim Jong-un oder das mit Wladimir Putin war. Die Reaktion der konventionellen Diplomaten war: Das sollte so nicht passieren, so macht man das nicht. In gewisser Weise haben sie recht: Es war sehr informell, es hat keine Präzision gegeben. Es hat nur ein Statement ohne Aussage gegeben. Aber Trump wollte nichts anderes. Er wollte persönliche Chemie. Was macht man nun im nächsten Schritt mit der persönlichen Chemie? Die Probleme sind noch immer da. Nukleare Abrüstung ist etwas sehr Kompliziertes. Da braucht man nicht nur die Experten, sondern ein Präsident selbst muss sich involvieren und harte direkte Ansagen machen.
In Europa haben wir US-Präsident Barack Obama sehr geliebt. Stimmt diese Sicht mit Ihren Erfahrungen überein?
Über vieles wird die Geschichte entscheiden. Aber ein US-Journalist hat einmal zu mir gesagt: "Der Grund, warum wir Obama in Europa so lieben, ist, weil er der ‚europäischste‘ US-Präsident ist." Er hat eine europäische Mentalität, er ist ein Intellektueller. Deswegen haben sich viele Europäer mit ihm wohlgefühlt. Trump ist sicherlich ein sehr starker amerikanischer Charakter. Einem Europäer kommt er äußerst seltsam vor. Als Diplomat muss man mit der Realität leben.
Zur Person
Pierre Vimont war fünf Jahre als Chefdiplomat der EU tätig. Er arbeitete in der Zeit von Catherine Ashton als Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienst. Formell ging er 2015 in Pension, blieb der EU aber bis 2017 als externer Mitarbeiter erhalten. Vor seiner Zeit bei der EU war er im französischen Diplomatischen Dienst. Heute ist er Senior Fellow im prestigeträchtigen Thinktank Carnegie Europe in Brüssel.
Pierre Vimont leitet derzeit zusammen mit Tobias Schumacher das Seminar "Die EU und ihre östlichen und südlichen Nachbarn: Resilienz als strategische Priorität" beim Europäischen Forum Alpbach.