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"Es geht um eine Vision"

Von Katharina Schmidt

Politik

Akzeptanz der Bologna-Reform "braucht Zeit". | Humanistischer Ansatz muss stärker betont werden. | "Wiener Zeitung": Wie weit sind die europäischen Universitäten mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses? | Andrée Sursock: Die neue Struktur der Abschlüsse (Bachelor, Master, PhD, Anm.) haben 95 Prozent umgesetzt. Das hat vor allem erfordert, die Curricula neu zu organisieren.


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Wo sieht die European University Association die Vor- und Nachteile von Bologna?

Der größte Gewinn ist, dass eine gemeinsame Sprache geschaffen wird. Auf lange Sicht wird das die internationale Mobilität von Studenten und Wissenschaftern sowie die Beschäftigungsfähigkeit der Abgänger erleichtern. Negativ ist, dass in einigen Ländern inzwischen so viele andere Reformen durchgeführt wurden, dass die Studenten nur schwer verstehen können, welche davon zu Bologna gehören und welche nicht.

Sprechen Sie von Österreich?

Ja, auch. Das ist ein Beispielland, aber nicht das einzige, wo viele Neuerungen eingeführt wurden, die nicht wirklich etwas mit Bologna zu tun hatten. Den Studenten wird die Komplexität aller Reformen im Hochschulsektor auch nicht besonders gut erklärt.

Aber die Studenten und die Wissenschaftsministerin denken, dass vor allem die Unis Fehler bei der Bologna-Umsetzung gemacht haben. . .

Generell war der Reformprozess in jenen Ländern, die an ein sehr langes Studium bis zum ersten Abschluss gewöhnt waren, viel schwieriger. Diese Neuerungen können nicht von heute auf morgen passieren. Es ist auch ein kultureller Wechsel nötig - und das geht nicht über Nacht.

Sie haben die Beschäftigungsfähigkeit, die vielzitierte "employability", erwähnt. Hier gibt es vor allem beim Bachelor Probleme.

Nicht überall. In Ländern, die eine lange Studiendauer bis zum ersten Abschluss hatten, ist die "employability" problematisch, weil viele Wissenschafter und Arbeitgeber in diesen Ländern nicht vom Wert des Bachelors überzeugt sind. In Großbritannien und Irland ist die Tradition eine andere, dort wird der Bachelor sehr gut angenommen. Die Arbeitgeber haben verstanden, dass sie die Jobanfänger einschulen müssen, die zwar Potenzial mitbringen, aber nicht unbedingt spezialisiert sind. Das muss akzeptiert werden.

In Österreich ist der Widerstand gegen Bologna groß. Was kann man dagegen tun?

Die Studenten müssen besser informiert werden. Außerdem ist ein eher humanistischer Zugang zu Bologna vonnöten. Wenn man über Bologna spricht, geht es immer um die technischen Aspekte - ECTS-Punkte, Umstellung des Studiensystems -, aber es wird darauf vergessen, dass es Menschen sind, die den Prozess am Ende umsetzen und die davon betroffen sind. Es muss auch darüber diskutiert werden, welche Art der Bildung im 21. Jahrhundert nötig ist. Es geht nicht einfach nur um Qualität, Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit, sondern um eine Vision der Bildung, die wir schaffen müssen.

Gerade den fehlenden humanistischen Ansatz kritisieren die Studenten an Bologna - sie sind gegen die Ökonomisierung der Bildung.

Ich bin auch dagegen, aber ich glaube nicht, dass Bologna die tertiäre Bildung instrumentalisiert. Es gibt eine große humanistische Dimension im Bologna-Prozess: Die soziale Dimension, der leichtere Zugang und lebenslanges Lernen sind sehr gute Ansätze. Ich würde nicht sagen, dass Bologna einen ökonomischen Ansatz verfolgt, eher einen technokratischen. Das Drama ist, dass die Lissabon-Strategie da hineinspielt, die stärker die ökonomischen Aspekte betont. Diese zwei Strategien gehören nicht zusammen.

Was erwarten Sie sich von der Bologna-Konferenz?

Ich hoffe auf eine neue Dynamik und darauf, dass der humanistische Bildungsansatz mehr in den Vordergrund rückt.

Andrée Sursock hat an der Sorbonne und in Berkeley Philosophie studiert. Sie hat den Bericht der European University Association zum zehnjährigen Bologna-Jubiläum verfasst, der gestern in Wien präsentiert wurde.