Die sanften Deeskalationssignale der Landesregierung von Baden-Württemberg stießen auf Skepsis. Die Gegner des Bahnhofsprojektes Stuttgart 21 beharren auf einem Baustopp, ein Wort, das Ministerpräsident Stefan Mappus um keinen Preis in den Mund nehmen will. Auch die Vermittlungsmissionen, die im Gespräch sind, haben angesichts derartig verhärteter Fronten keine Chance.
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Für die Befürworter geht es um ein Jahrhunderprojekt. Sie argumentieren, dass die Festlegung darauf in langen Debatten demokratisch gefällt wurde. Die Gegner bemängeln allerdings, dass diese Entscheidung, deren Sinnhaftigkeit auch Bahnexperten bezweifeln, durch politische Mauscheleien getroffen worden ist. Zudem sei sie aufgrund falscher Voraussetzungen gefällt worden - so drohe etwa eine Kostenexplosion.
Aber eigentlich geht es gar nicht mehr um das Projekt selbst. In Frage gestellt wird auch das System, über die Köpfe der Bürger hinweg zu entscheiden. Kanzlerin Angela Merkel pocht auf eine Demokratie, die sich ausschließlich in Wahlen verwirklicht. Im Bundestag verwies sie auf die Landtagswahl am 27. März 2011 - dies werde "die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, Stuttgart 21 und viele andere Projekte sein".
Mappus will indessen im Wahlkampf sein Wirken ungern auf den Bahnhof reduziert sehen. Dem ohnehin schwächelnden Landes-CDU muss diese Ansage der Kanzlerin, die sich einen Imagewechsel von der Moderatorin zur Kämpferin verordnet hat, als Bärendienst vorkommen. Denn auch die Gegner des Projektes orientieren sich auf die Landtagswahl hin und wollen sie am liebsten vorverlegen. Schwarz-Gelb im Land wackelt, denn auch gestandene CDU-Wähler entsetzte der Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray im Stuttgarter Schlosspark.
Die SPD steckt in einem Dilemma: Einst stimmte sie für Stuttgart 21, nun ist sie für eine Volksabstimmung über das Projekt. Verfassungsrechtler glauben allerdings, dass eine solche gar nicht möglich wäre.
Als Österreicher fühlt man sich ein wenig an den Dezember 1984 erinnert. Da sollte der Bau des Donau-Kraftwerks Hainburg durchgesetzt werden. Der stetig wachsenden Zahl der Gegner wurde schließlich mit einem Polizeieinsatz in der besetzten Au begegnet. Dem anschließenden Proteststurm folgte ein Baustopp durch die Regierung von Fred Sinowatz, der nie wieder aufgehoben wurde. Mittelfristig führte diese Auseinandersetzung zur Einigung der zersplitterten Grün-Bewegung und zu deren Einzug ins Parlament.
Im deutschen Bundestag sitzen die Grünen schon länger, damals angeschoben von der Anti-Atom-Bewegung. Die Laufzeitverlängerung für AKW gibt ihnen heute erneut verstärkten Zulauf, und Stuttgart 21 ist ein weiterer Impuls. Manche Umfragen sehen sie schon jetzt gleichauf mit der SPD - diese muss nun darum fürchten, Nummer eins der Opposition zu bleiben.
Siehe auch: Vorläufig kein weiterer Abriss für ,Stuttgart 21´