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"Es geht um Stimmungsmache"

Von Thomas Seifert

Politik
© Christoph Liebentritt

Staatssekretärin Duzdar über ihren persönlichen Kopftuch-Streit und die Selbstbestimmung von muslimischen Frauen.


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Wien. Noch immer Streit ums Kopftuch: Außenminister Sebastian Kurz fordert ein Kopftuchverbot für Muslima, die im öffentlichen Dienst arbeiten. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache legte auf Facebook nach und fordert ein Ende der "leeren Ankündigungen". Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde muslimischer Eltern aus der Schweiz abgelehnt. Die Eltern hatten gegen die von der Schulbehörde wegen der Nicht-Teilnahme ihrer Töchter am gemischten Schwimmunterricht verhängte Strafe geklagt. In Österreich gab es bisher keinen derartigen Fall. Staatssekretärin Muna Duzdar ist die erste Muslima in der österreichischen Bundesregierung. Im "Wiener Zeitung"-Interview sagt sie, sie würde sich eine sachliche Debatte rund ums Kopftuch wünschen. Stattdessen werde von einigen Politikern gegen die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft Stimmung gemacht.

"Wiener Zeitung": Sie sind eben von einer einwöchigen Reise in den Nahen Osten zurückgekehrt. In Jerusalem kam es zu einer unschönen Szene: Ein Wächter der Felsendom-Moschee hat Sie, bevor Sie die Moschee besuchen konnten, recht barsch zurechtgewiesen: Sie würden das für den Besuch obligatorische Kopftuch nicht den Regeln entsprechend tragen.

Muna Duzdar: Wir kamen aus Termingründen später als vereinbart und daher knapp vor der Gebetszeit. Der Moscheen-Wächter war angespannt und etwas unhöflich. Es kam zu einem Wortgefecht. Muss ich mir als Frau jede Frechheit gefallen lassen? Nein. Schließlich macht der Ton die Musik. Aber lassen Sie mich noch einen Satz hinzufügen: Mir geht es um die Selbstbestimmung der Frau. Es geht darum, dass Frauen das tun können, was sie wollen. Wenn eine Frau sagt, sie will das Kopftuch nicht, darf es weder Zwang noch Druck geben, irgend einen Stoff zu tragen, den sie nicht tragen will. Genauso gilt aber umgekehrt, dass die Frauen die Möglichkeit haben müssen, das Kopftuch freiwillig zu tragen, wenn sie das wollen.

Sie hätten also das Kopftuch in der Moschee getragen, weil es sich eben geziemt, genauso wie es sich gehört, dass Männer in der Kirche ihre Kopfbedeckung abnehmen oder Männer in einer Synagoge eine Kopfbedeckung tragen?

Natürlich. Aber ich trage das Kopftuch so, wie ich es für richtig halte. Das ist der springende Punkt. Ich weigere mich, mich darüber herumzustreiten, wie viele Haare da unter dem Kopftuch hervorlugen und wie viele nicht. Da platzt mir dann einfach der Kragen. Aber das heißt ja nicht, dass ich Benimmregeln in Sakralbauten nicht respektiere.

Wie denken Sie darüber, wenn religiöse oder weltliche Herrscher Frauen vorschreiben, das Kopftuch zu tragen?

Dann müssen sich Frauen dagegen auflehnen und sollten das keinesfalls akzeptieren. Da geht es um Selbstbestimmung und Freiheit der Frau.

Und umgekehrt: Wenn man in Österreich von Muslima fordert, das Kopftuch abzunehmen?

Wie diese Diskussion derzeit läuft, gefällt mir gar nicht. Geht es in der Diskussion um Säkularismus? Oder geht es vielleicht um etwas anderes? Wenn es um Säkularismus geht, dann können wir doch nicht nur übers Kopftuch bei muslimischen Frauen diskutieren! Sondern dann brauchen wir eine ehrliche Debatte über religiöse Kleidungssymbole. Da kann man nicht einfach eine Gruppe herauspicken. Wie halten wir es etwa mit dem Turban der Sikh-Männer, die den Turban im Bundesheer tragen dürfen? Oder was ist mit der Kippa bei jüdischen Männern? Meine Schlussfolgerung ist, dass es offenbar nicht um eine Säkularismus-Debatte geht, sondern darum, eine bestimmte Gruppe herauszupicken und gegen die Mitglieder dieser Religion Stimmung zu machen.

Sie haben Israel, Palästina und den Libanon besucht, spielte dabei eine Rolle, dass Sie aus einer palästinensischen Familie stammen?

Meine Gesprächspartner haben das gewusst. Es kann von Vorteil sein, wenn es etwa darum geht, als österreichische Politikerin mit palästinensischen Wurzeln zu vermitteln oder mitzuhelfen, Brücken zu bauen. Aber mein palästinensischer Hintergrund kann ja bei so einem Besuch, wo es darum ging, auszuloten, was wir von der Start-up-Nation Israel in puncto Digitalisierung lernen können und wie wir die palästinensische Regierung bei deren Umsetzung von digitalen Verwaltungsreformen unterstützen können, nicht zum Programm werden. Ich habe meine Fachbereiche und mein Portfolio - da gibt es genügend Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit.

Stichwort Digitalisierung: Wo steht Österreich?

Für mich ist das Thema der digitalen Bildung zentral. Wir haben in einem Pilotprojekt an drei Schulen Tablets verteilt, mit denen die Schülerinnen und Schüler im Unterricht arbeiten. Es gibt die Überlegung, das flächendeckend auszuweiten. Zudem müssen die Schulen mit WLAN-Netzwerken ausgestattet werden, damit das auch Sinn macht.

Es wurden in Europa viele Fehler gemacht. Einst war Nokia der führende Handyhersteller, heute dominieren Apple und Samsung. Oder denken wir an Netflix, Google, Facebook, Twitter, Amazon - das sind alle US Konzerne. Hat Europa den Anschluss verloren?

Wir haben bei vielen Erfolgsgeschichten bei unserem Besuch in Israel gesehen, dass der Staat sich sehr stark im Forschungsbereich engagiert. Wenn wir wollen, dass Unternehmen im High-Tech-Bereich erfolgreich sind, dann muss der Staat einen unterstützenden Beitrag leisten. Und wir brauchen eine Fehlerkultur wie in Israel, wo jemand nicht stigmatisiert wird, nur weil er oder sie mit ihrer Geschäftsidee oder Entwicklung gescheitert ist.

Sie haben dann im Libanon Flüchtlingslager besucht. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Wenn wir wollen, dass diese Region wieder zu mehr Stabilität zurückfindet, dann dürfen wir den Libanon mit seinen Problemen nicht alleine lassen. Ein Land mit 4,5 Millionen Einwohnern hat über eine Million syrischer Flüchtlinge aufgenommen. Der Libanon braucht unsere Hilfe.

Sie waren eine lautstarke Kritikerin der Flüchtlingspolitik der Regierung. Nach Ihrem Eintritt in die Regierung sagten Sie in einem Interview mit der "Wiener Zeitung", dass Sie das nach wie vor seien, aber sie müssten eben die Politik des Koalitionspartners mittragen.

Was mir vor allem fehlt, ist die internationale Komponente der gesamten Flüchtlingspolitik. Damit meine ich: Hilfe vor Ort. Ich bin auch der Ansicht, wir bräuchten EU-Aufnahmezentren.

Was meinen Sie damit?

Früher einmal gab es das sogenannte Botschaftsasyl. Da mussten Menschen keine lebensgefährlichen, risikoreichen Wege auf sich nehmen, wo sie vielfach am Ende feststellen müssen, dass sie gar kein Recht auf Asyl haben. Das ist weder im Interesse der Flüchtlinge noch im Interesse der Aufnahmeländer. Insgesamt geht es mir um drei Säulen. Erstens: Hilfe vor Ort. Zweitens: EU-Aufnahmezentren. Und als Drittes: Resettlement. Wenn wir das schaffen, dann bekommen wir die Herausforderungen in den Griff.

Muna Duzdar
ist Rechtsanwältin und seit 2016 Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung im Kabinett von Bundeskanzler Christian Kern. Davor war die 38-jährige SPÖ-Politikerin Wiener Landtags- und Bundesratsabgeordnete.